FÖDERALISMUSREFORM II
Verfassungsklage angekündigt
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Im Bundestag und im Bundesrat dürfte es wohl eine Zweidrittel-Mehrheit für ein in der Verfassung verankertes Kreditlimit beim Bund und den Ländern geben. Doch tritt die Föderalismusreform dann auch in Kraft? Ein Paukenschlag aus dem Norden eröffnet bereits das nächste Match. Schleswig-Holsteins Landesparlament will vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine via Grundgesetz den Ländern auferlegte Schuldenbegrenzung klagen: Dies sei ein unzulässiger Eingriff in die Budgethoheit einer Volksvertretung, beschloss der Landtag einstimmig trotz inhaltlicher Differenzen der Parteien über die Finanzpolitik.
Dieses Klagebegehren sei "unhaltbar", kritisiert der Justiziar der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Günter Krings (CDU). Schon heute könne der Bund mit Zustimmung des Bundesrats in die Etatautonomie der Länder eingreifen, habe allerdings "bislang keinen Gebrauch davon gemacht." Die Position des Landtags sei "daher nicht sehr überzeugend".
Da zieht ein spannendes Kräftemessen herauf. Auch im Berliner Abgeordnetenhaus wird in der rot-roten Koalition eine Anrufung des Verfassungsgerichts geprüft. Die Chefs der SPD-Landtagsfraktionen wollen dem Kieler Vormann Ralf Stegner zufolge bei ihrer nächsten Konferenz erörtern, ob sie die Initiative aus dem Norden als Musterklage unterstützen oder in ihren eigenen Landtagen Klagen in Karlsruhe beantragen.
Die Föderalismusreform sieht vor, dass in "normalen Zeiten" der Bund von 2016 an nur noch Kredite in Höhe von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung und die Länder von 2020 an überhaupt keine Schulden mehr aufnehmen dürfen. Stegner betont, "über ein Kreditlimit für sich selbst muss jedes Land allein entscheiden". In SchleswigHolstein könne sich die SPD eine Verschärfung der jetzigen Regelungen vorstellen, "aber eine Schuldenbremse null in der Landesverfassung kommt nicht in Frage" - und ohne SPD gibt es keine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Aber darf ein Landtag in diesem Fall nach Karlsruhe ziehen? Stegner räumt juristische Probleme ein. Jetzt werde wissenschaftlich untersucht, ob das Parlament, Fraktionen oder einzelne Abgeordnete ein Klagerecht haben. Zudem wolle man die Regierung auffordern, Karlsruhe im Namen des Parlaments anzurufen.
Das Thema beschäftigt auch den Bundesrat, der am 3. April erstmals über die Gesetzentwürfe zur Föderalismusreform debattierte. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) als Vorsitzender der Föderalismuskommission II sieht dabei die Haushaltskompetenz und damit das "Königsrecht" der Landtage durch die Vorschläge "nicht in seinem Kern ausgehöhlt und tangiert".
Schützenhilfe bekommt er in der Länderkammer von dem Gros seiner Kollegen. Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) etwa hält "die erste Reaktion einiger Landtage für überzeichnet". Durch die Reform gebe keine Verschlechterung bei der Haushaltsautonomie, die schon jetzt "im Regelfall eingeschränkt" sei.
Der rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) ergänzt, im Grundgesetz sei bereits heute beispielsweise geregelt, dass der Maastrichter EU-Vertrag umzusetzen sei. Dies gelte auch für die Länderhaushalte. Zudem könne man nicht "im Grundgesetz das bündnische Prinzip verankern" und zugleich eine völlige Freiheit der Länder bei der Gestaltung ihrer Haushalte verlangen.
Auch Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) erkennt in der geplanten Neuregelung "keine Einschränkung der Autonomie der Landtage". Schließlich könnten die Landesparlamente autonom bestimmen, wie der Haushalt ohne strukturelle Neuverschuldung auszugleichen ist.
Für Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering (SPD), der das Reformpaket in der Länderkammer als inakzeptabel kritisierte, ist es dagegen "verfassungsrechtlich mindestens zweifelhaft", alleine im Grundgesetz eine Schuldenbremse auch für die Länder "ohne entsprechende Regelungen der Landesparlamente" festzuschreiben. Auch sei "eine Schuldenbremse für die Länder allein im Grundgesetz vor allem politisch unklug", weil die angestrebte Haushaltskonsolidierung "nur aus Überzeugung" und aus einer "Selbstbindung" heraus betrieben werden könne und "nicht als fremdbestimmter Eingriff". Die Landtage "mitnehmen" will Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP): "Wir sollten bei dieser Diskussion die Bedenken der Landtage wirklich ernst nehmen".