WEIMAR
In der ersten deutschen Demokratie scheiterte der Reichstag auch an sich selbst
Was heute selbstverständlich ist, war bei der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung im Januar 1919 für Deutschland eine Premiere: Zum ersten Mal waren Frauen wahlberechtigt. Dabei fiel die Wahl in eine Zeit blutiger Unruhen: Während SPD und bürgerliche Parteien nach dem Sturz des Kaiserreichs Kurs auf eine parlamentarische Demokratie nahmen, setzte das links-sozialistische Lager erfolglos auf eine Räterepublik sowjetischen Vorbilds.
Die Wahl bescherte der "Weimarer Koalition" aus den vorbehaltlos zur Demokratie stehenden Parteien SPD, Zentrum und DDP (Deutsche Demokratische Partei) eine Dreiviertelmehrheit in der Nationalversammlung, die im Juli 1919 mit großer Mehrheit die neue republikanische und demokratische Verfassung beschloss. Ein rein parlamentarisches System war damit freilich nicht festgeschrieben: Zwar war der Reichskanzler dem Parlament verantwortlich und musste ohne dessen Vertrauen zurücktreten, wurde aber vom Reichspräsidenten ernannt und nicht durch den Reichstag gewählt. Weitreichende Vollmachten machten den direkt vom Volk gewählten Präsidenten zu einem Gegengewicht - er hatte das Recht zur Reichstagsauflösung, konnte Notverordnungen mit Gesetzescharakter erlassen.
Im Januar 1920 trat der Versailler Vertrag in Kraft, und im Juni sollten die Parteien der Weimarer Koalition schon bei der ersten Reichstagswahl für immer die absolute Mehrheit verlieren - das Wort von der "Republik ohne Republikaner" machte die Runde. In der Folge regierten mit Ausnahme mehrerer großer Koalitionen in der Regel vom Parlament tolerierte, kurzlebige Minderheitsregierungen. Mit dem Auseinanderbrechen der letzten großen Koalition aus SPD, Zentrum und DDP sowie Deutscher Volkspartei (DVP) und Bayerischer Volkspartei (BVP) im März 1930 war damit Schluss: Im Reichstag sollte sich fortan keine Mehrheit mehr für eine vom Parlament getragene Regierung finden; stattdessen regierten nun sogenannte Präsidialkabinette mit Hilfe des Notverordnungsrechts des Reichspräsidenten. Der Reichstag, urteilte später ein Historiker, schaltete sich selber aus: "Der Parlamentarismus der Weimarer Republik ist nicht von außen zu Fall gebracht worden."
Bei der Parlamentswahl im Juli 1932 dann kamen mit NSDAP und KPD erklärte Republikfeinde zusammen auf die Mehrheit im Reichstag, der sich ein Dreivierteljahr später, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, endgültig selbst entmachtete: Das gegen die Stimmen der SPD und in Abwesenheit der KPD-Abgeordneten verabschiedete "Ermächtigungsgesetz" ermöglichte Hitler, Gesetze ohne Zustimmung des Reichstags und Gegenzeichnung des Reichspräsidenten zu erlassen - der Weg in die Diktatur war frei.