Die vergangene Sitzungswoche im Rückblick
In den Sitzungen am 21. und 22. Januar 2009 entschied der Bundestag über mehrere Gesetzesvorhaben der Bundesregierung. So stimmten die Abgeordneten der Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu. Ebenfalls angenommen wurde das Mittelstandsentlastungsgesetz. Zudem standen im Plenum der Jahreswirtschaftsbericht 2009 der Bundesregierung zur Debatte sowie verschiedene fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe zur Regelung der Patientenverfügung.
Am Mittwoch, dem 21. Januar, beschäftigte sich der Bundestag in erster Lesung mit zwei fraktionsübergreifenden Gesetzesentwürfen, die Patientenverfügungen künftig verbindlich machen wollen. Nach dem von einer Gruppe um den Abgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU) vorgelegten Entwurf ( 16/11360) soll der Patientenwille künftig aber nur dann in jedem Fall rechtlich bindend sein, wenn der Patient sich beraten und seine Verfügung notariell beglaubigen lässt. Generell differenziert der Antrag zwischen Krankheit und Behandlungssituation, wie weit die Verbindlichkeit der Verfügung reichen soll.
Der von Wolfgang Zöller (CSU) und anderen Abgeordneten
eingereichte Antrag (
16/11493) will dagegen, dass der Patientenwille
selbst dann verbindlich ist, wenn er mündlich
geäußert wird – unabhängig von Art und
Verlauf der Krankheit. Der Bundestag überwies beide Vorlagen
zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss.
Am Abend nahm das Parlament dann das von der Bundesregierung vorgelegte so genannte dritte Mittelstandsentlastungsgesetz an ( 16/10490, 16/11622). Durch 23 Einzelmaßnahmen sollen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Statistik und Gewerberecht von unnötiger Bürokratie entlastet werden.
So wird unter anderem die Handwerkszählung vereinfacht, und es werden eine Reihe von gewerberechtlichen Vorschriften gestrichen. Die Bundesregierung schätzt, dass die Unternehmen so mindestens 97 Millionen Euro, die öffentliche Verwaltung mindestens 8,6 Millionen Euro einsparen können.
Am Donnerstag, dem 22. Januar, standen der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung für 2009 ( 16/11650) und das Jahresgutachten 2008/2009 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ( 16/10985) im Mittelpunkt der ersten Debatte. Dabei ging es auch um die Konjunkturprognosen für das laufende Jahr. Der Bundestag überwies beide Vorlagen zur federführenden Beratung an den Wirtschaftsausschuss.
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sagte, Deutschland befinde sich zwar in der "schwersten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik“, doch mit dem gerade aufgelegten Konjunkturpaket könne die Politik eine "Brücke“ hin zu wieder mehr Wachstum und Beschäftigung bauen. Die darin beschlossenen Maßnahmen gingen weit über "sektorale Hilfen hinaus“ und könnten die "negative Erwartungsspirale“ durchbrechen.
Die Opposition mahnte jedoch grundsätzliche, strukturelle
Veränderungen an und kritisierte, die Maßnahmen des
Konjunkturpakets seien nicht weitreichend genug und zudem falsch
ausgerichtet.
Danach setzte sich das Parlament mit den Mindestarbeitsbedingungen auseinander. Zur Debatte standen zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung und ein Antrag der Linksfraktion ( 16/1878), die einen "sozial gerechten Mindestlohn" forderte. Den Antrag lehnte der Bundestag mit großer Mehrheit ab.
Den Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes
über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (
16/10485) nahm das Parlament in namentlicher
Abstimmung mit 401 Ja- bei 109 Nein-Stimmen sowie 30 Enthaltungen
an.
Dem Gesetzentwurf über zwingende Arbeitsbedingungen für
grenzüberschreitend entsandte und für
regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen (
16/10486) stimmten 398 Abgeordnete zu, 108
lehnten ihn ab und 50 enthielten sich. In beiden Fällen
votierten Union und SPD gegen FDP und Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen. Keine Mehrheit fanden
Änderungsanträge von Bündnis 90/Die Grünen (
16/11675,
16/11676) zu beiden Gesetzen.
In der Debatte nannte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) die Änderungen einen "bemerkenswerten Fortschritt". Durch sie hätten mehr Menschen Aussicht auf einen gerechteren Lohn. Er verteidigte die Gesetze gegen Kritik, der Staat griffe in die Tarifautonomie ein: "Wenn die Tarifpartner nicht für Regeln sorgen, muss sie eben der demokratische Staat schaffen."
Heinrich Kolb (FDP) dagegen monierte, angesichts der
Wirtschaftskrise seien gesetzliche Mindestlöhne "noch nie so
falsch wie jetzt" gewesen. Dr. Gregor Gysi (Die Linke) forderte
über die geplanten Änderungen hinaus einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Die vorliegenden
Gesetze seien nur "Flickschusterei", denen seine Fraktion nie
zustimmen werde.
Auch Bündnis 90/ Die Grünen schlossen sich dieser Kritik
an: Die Beschränkung auf nur sechs weitere Branchen, die in
das Arbeitnehmer-Entsendgesetz aufgenommen werden sollen, sei
"falsch und ungerecht", sagte Brigitte Pothmer. Eine wichtige
Chance, einen für alle Branchen geltenden Mindestlohn zu
schaffen, sei verpasst worden: "Mindestlohn steht drauf, wo leider
sehr wenig Mindestlohn drin ist."
Die Linke hatte die Aktuelle Stunde zum Thema "Konsequenzen aus der Existenz weiterer fauler Wertpapiere bei deutschen Banken im Umfang von Hunderten Milliarden Euro" beantragt. Hintergrund waren Berichte, die sich auf Umfrageergebnisse von Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stützten, wonach die deutschen Banken erst einen Bruchteil ihrer „faulen“ Wertpapiere abgeschrieben haben. Den Großteil ihrer „toxischen“ Wertpapiere im Volumen von knapp unter 300 Milliarden Euro sollen sie noch besitzen.
Die Linksfraktion nutzte die Aussprache, um das Handeln der
Bundesregierung in der Finanzkrise und ihr Auftreten gegenüber
den Banken zu kritisieren: Der Bankenrettungsschirm sei eine
"Fehlkonstruktion“, sagte Gesine Lötzsch. Außerdem
habe die Regierung die Zeit noch nicht genutzt, ein
Bankenspekulationsgesetz zu erarbeiten.
"Das ist grob fahrlässig“, so die Abgeordnete. Jeden Tag
tauchten neue "faule Kredite“ auf, und die
Öffentlichkeit habe ein Recht darauf zu erfahren, wie viele
davon noch in den "Tresoren der Banken lagerten“. Jetzt
müsse Schluss sein mit der "Kuschelpädagogik der
Regierung gegenüber den Banken“, verlangte
Lötzsch.
Otto Bernhardt (CDU/CSU) hielt dagegen, dass aber niemand mit Sicherheit heute bestimmen könne, was morgen ein „faules Papier“ sei. Lothar Binding (SPD) nannte zudem die Vorstellung, "jegliche Spekulation“ zu unterbinden, "naiv“.
Dr. Gerhard Schick (Bündnis 90/ Die Grünen) bemängelte, mit der Einrichtung des Sonderfonds zur Stabilisierung der Finanzmärkte (SoFFin) sei der Regierung bis jetzt nicht gelungen, eine Stabilisierung zu erreichen. Dort herrsche „Plan C, das Chaos“, so der Abgeordnete im Hinblick auf die Rücktritte von zwei von drei Mitgliedern des SoFFin-Lenkungsausschusses. Florian Toncar (FDP) hatte zuvor ebenfalls „handlungsfähige Strukturen“ dort eingefordert.
Abgelehnt hat der Bundestag am Donnerstag zwei Anträge der Linksfraktion zu den Energiekosten. Darin hatte die Fraktion zum einen eine Überarbeitung des Energiewirtschaftsgesetzes verlangt. Energieversorger sollen künftig dazu verpflichtet werden, unter anderem Sozialtarife für einkommensschwache Haushalte anzubieten ( 16/10510). Außerdem hatte die Fraktion gefordert, die Übertragungsnetze des Eon-Tochterunternehmens Eon Netz zu verstaatlichen ( 16/8494).
In erster Lesung befasste sich das Parlament mit einem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen (
16/11645), die Biogaseinspeisung und
Wärmeeinsparung angesichts des Gasstreits zwischen Russland
und der Ukraine voranzubringen. Der Ausschuss wurde zur weiteren
Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen.
Im Anschluss daran stimmte der Bundestag dem Entwurf eines Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes ( 16/10531) zu, mit dem die Bundesregierung zum einen mehr Beteiligung von Mitarbeitern an Unternehmen fördern, zum anderen die Eigenkapitalbasis der Firmen selbst verbessern will.
"So wird Mitarbeiterbeteiligung deutlich attraktiver“, sagte
Klaus Brandner, Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Bald würden
eine Million Mitarbeiter mehr "direkt oder indirekt“ an ihren
Unternehmen teilhaben.
Die FDP hatte den Regierungsentwurf kritisiert und einen eigenen Antrag eingereicht ( 16/9337), der jedoch nun im Bundestag abgelehnt wurde. Hauptforderung der FDP war, die Trennung zwischen betrieblicher Altersvorsorge und Mitarbeiterbeteiligung aufzuheben und für beide Formen gleiche Förderregeln festzulegen. "Sonst kannibalisiert sich die betriebliche Altersvorsorge“, warnte Frank Schäffler (FDP) in der Debatte. Die Unternehmer könnten "einen Euro eben nur einmal umdrehen“.
Auch Thea Dückert (Bündnis 90/ Die Grünen)
kritisierte, das Gesetz sei "gut gemeint, aber nicht gut
gemacht“. Nicht gut, weil es zum einen das sinnvolle
Instrument der Mitarbeiterbeiterbeteiligung "reduziere auf ein
Finanzanlageinstrument“, zum anderen, weil es Mitarbeiter
„in Anlageformen locke, die schlechtere Renditen“
hätten als andere. Außerdem fehlte jegliche Sicherung
für den Fall einer Insolvenz, bemängelte
Dückert.
Herbert Schui (Die Linke) nannte das Gesetz einen "ausgekochten
Trick“. Um eine wirkliche Beteiligung der Mitarbeiter gehe es
darin nicht. Das "einzig Gute“ sei die vorgesehene "geringe
Erhöhung der Sparzulage“, sagte der Abgeordnete und
forderte stattdessen eine "stärkere Mitbestimmung der
Belegschaften“ in Unternehmen.
Die Abgeordneten stimmten ferner über ein Vertragsgesetz ab, das Änderungen im Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds (IWF) in deutsches Recht umsetzen soll ( 16/10535). Dadurch werden die Stimmrechte der Mitgliedsländer gestärkt und die Anlagebefugnisse des Fond erweitert. Das Gesetz wurde mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen gegen die Stimmen der Linksfraktion angenommen.
Darüber hinaus nahm der Bundestag gemeinsame Anträge von CDU/CSU, SPD und FDP ( 16/11223) und von CDU/CSU und SPD ( 16/8754) zur künftigen Unterstützung von Contergan-Geschädigten an. Abgelehnt wurde ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/8748) für einen "umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals".
Abgelehnt hat das Parlament zudem zwei Anträge der Opposition zur Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes. Die FDP hatte die Bundesregierung aufgefordert, Wettbewerb mit der Deutschen Bahn im Personenfernverkehr zuzulassen ( 16/384). Bündnis 90/Die Grünen hatten überdies verlangt, den liniengebundenen Fernbusverkehr zu ermöglichen ( 16/842). Zuvor hatte bereits der Verkehrsausschuss die Ablehnung der Anträge empfohlen ( 16/3905).
Insgesamt standen in der Sitzungswoche 32 Themen auf der Tagesordnung des Parlaments: So debattierten die Abgeordneten etwa über Änderungen des Atomgesetzes ( 16/11609) und der Strafprozessordnung ( 16/11170). Der Bundestag verabschiedete ferner einen Koalitionsantrag zum Wassertourismus ( 16/10593, 16/11303) und stimmte über mehrere Anträge aus den Fraktionen zur Gleichstellung von Frauen in Wissenschaft und Forschung ab ( 16/9756, 16/9604, 16/8742, 16/5898, 16/8753).