Herr Hörster, wie hoch schätzen Sie die Chancen der Schiiten-Miliz Hisbollah ein, die libanesischen Parlamentswahlen am 7. Juni zu gewinnen?
Ob sie die Wahlen tatsächlich gewinnen kann, vermag ich nicht zu sagen. Es gibt im Libanon keine verlässlichen Wahlumfragen und auch keine Möglichkeiten, Voraussagen zu treffen, so wie wir das in Deutschland gewöhnt sind. Doch man muss feststellen, dass sowohl die Hisbollah mit ihren Verbündeten, als auch die sogenannte pro-westliche Gruppe um Saad Hariri einen beachtlichen Einfluss im Libanon haben. Das Ergebnis der Wahlen ist also völlig offen.
Was würde ein Wahlerfolg der Hisbollah für den Nahen Osten bedeuten?
In der praktischen Politik würde sich wohl nicht viel ändern. Die Hisbollah müsste aber ihre zivile und soziale Kompetenz unter Beweis stellen, was sie bisher nur teilweise getan hat. Ich glaube aber zum Beispiel, dass sie den Religionsfrieden und den in der Verfassung verankerten Religionsproporz respektieren würde, wenn sie denn wirklich das Sagen hätte. International müsste sie zeigen, ob sie verhandlungswillig und verhandlungsfähig ist.
Die Hisbollah wird von den USA als Terrororganisation eingestuft, bei der EU steht sie nicht auf der Liste der Terrorgruppen. Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit ihr umgehen?
Ich halte die EU-Position für vernünftig. Es hat keinen Zweck, an der Tatsache vorbeizusehen, dass die Hisbollah ein wichtiger Machtfaktor der libanesischen Politik ist -ob man sie mag oder nicht. Man kommt nicht an ihr vorbei, wenn man dauerhaft Frieden in der Region schaffen will.
Obwohl sie Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ansieht?
Ich lehne die Methoden der Hisbollah ab - die Attentate und den Terrorismus. Aber sie ist längst ein wichtiger politischer und gesellschaftlicher Faktor im Libanon. Es wäre daher eine arge Verkürzung, wenn man sie auf eine Terroristenorganisation reduzieren würde. Die Hisbollah leistet in den Gebieten, in denen sie die Oberhand hat, beispielsweise eine ganze Reihe von sozialen Diensten.
Der Wahlkampf wird von Berichten über Stimmenkäufe und Gewalt überschattet. Wie demokratisch ist diese Wahl überhaupt?
Solche Vorfälle gibt es immer bei Wahlen in dieser Region. Im Vergleich zu anderen Ländern im Nahen Osten sind die Wahlen im Libanon jedoch vergleichsweise demokratisch. Der konfessionelle Proporz engt die Wahlmöglichkeiten einerseits ein, er hält aber auch das Zusammenleben der 18 Religionsgemeinschaften im Libanon im Gleichgewicht. Insofern hat das Wahlsystem eine befriedende Wirkung und sorgt für einen gewissen Minderheitenschutz - auch im Interesse der christlichen Bevölkerung.
Die Fragen stellte
Johanna Metz.