LIBANON
Bei den Parlamentswahlen stehen sich zwei gleichstarke ideologische Blöcke gegenüber
Sei schön und wähle", müssen die Beiruter Autofahrer zurzeit überall lesen. Der Slogan steht unübersehbar auf riesigen Postern am Straßenrand, dazu ist das Foto eines brünetten Models in lasziver Pose abgebildet. Im Libanon ist Wahlkampf: Den über 20 politischen Parteien mit ihren 702 Kandidaten bleiben nur noch wenige Wochen Zeit bis zur Parlamentswahl am 7. Juni. Eine Wahl, bei der "die Libanesen die einmalige Gelegenheit haben, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln", sagt Walid Jumblatt von der Progressiven Sozialistischen Partei (PSP), "und das demokratische System zu bestätigen".
Der Vorsitzende der PSP, der neben Saad Hariri von der Zukunftspartei, einer der Galionsfiguren der Regierung der nationalen Einheit unter Premierminister Fuad Siniora ist, sollte es eigentlich besser wissen. Von einem unabhängigen Libanon kann kaum die Rede sein, selbst wenn der Zedernstaat als demokratische Ausnahme unter den arabischen Staaten gilt. Seit Jahren schwelt der Konflikt mit der an der Regierung beteiligten Opposition, die von der schiitischen Hisbollah und der christlichen Freien Patrioten des Ex-Generals Michel Aoun angeführt wird - ein Konflikt, der genau vor einem Jahr zu heftigen Kämpfen mit über 80 Toten führte und beinahe einen neuen Bürgerkrieg auslöste. "Im Libanon werden Stellvertreterkriege geführt, die die Antagonismen im Mittleren Osten und auch weltweit reflektieren", meint Rami G. Khouri, ehemaliger Chefredakteur des Beiruter Daily Stars und heute als politischer Analyst tätig. "Zu den Hauptlagern gehört einmal die von Hariri geführte Gruppe, verbündet mit den USA und den konservativen arabischen Ländern., zum anderen die Opposition mit Hisbollah und Aoun, verbündet mit Syrien und dem Iran." Diese ideologische Konfrontation mache den Ausgang der Wahlen weit über den Libanon hinaus bedeutsam.
Keineswegs ist daher überraschend, dass hunderte Millionen Dollar aus dem Ausland an die unterschiedlichen Koalitionen geflossen sind. Zwar gibt es zum ersten Mal für die Parteien ein finanzielles Limit für den Wahlkampf, aber diese Beschränkungen gelten nur für die letzten beiden Monate.
Mit der finanziellen Unterstützung aus dem Ausland werden Libanesen, die in Südamerika oder Europa wohnen, gratis zur Stimmabgabe eingeflogen oder es werden teure TV-Spots bezahlt. Besonders fragwürdig ist auch der Stimmenkauf, der bereits bei den letzten Parlamentswahlen 2005 übliche Praxis war. Damals zeigten Wähler die Schecks, die sie für ihre Stimme erhalten hatten, Fotografen und TV-Kameraleuten. Heute sei eine Stimme mindestens 800 Dollar wert, wie die New York Time berichtete. "Etwa 10 Prozent der Wähler bekommen Geld auf die eine oder andere Weise", schätzt Abdullah Bou Habib vom Nationalen Demokratischen Institut, eines von mindestens fünf internationalen Organisationen, die die Wahlen beobachten. "Zudem sind alle Parlamentswahlen zu 75 Prozent bereits vorher entschieden", erklärt der frühere libanesische Botschafter in den USA. Denn 108 der insgesamt 128 Sitze stünden durch das nach dem libanesischen Bürgerkrieg 1989 getroffene Taif-Abkommen schon im Vorfeld fest. Danach sind die Sitze paritätisch den Religionen zugeteilt. Christen und Muslime etwa erhalten jeweils 64 Sitze.
Die Wahlbeobachterkommission hat bereits 293 Verstöße gegen das Wahlgesetz registriert - finanzielle Manipulationen, unrechtmäßige Verwendung öffentlicher Gelder, Missbrauch öffentlicher Institutionen. Da es keine gesetzlichen Grundlagen gibt, kann dagegen nichts unternommen werden. Auch die große Zahl von Wahlbeobachtern hat wenig Einfluss. "Sie sprechen die Sprache nicht und kennen das Land nicht", meint Timur Goksel, der Internationale Politik an der Amerikanischen Universität von Beirut lehrt. "Was können sie schon entdecken?" Das Problem sei, dass die Parteien selbst ihre Beobachter in den Wahllokalen postieren. Sie verteilten auch ihre eigenen markanten Stimmzettel - als Absicherung, dass die Partei tatsächlich die Stimmen bekommt, für die sie bezahlt hat.
Entscheidend bei den Wahlen im Juni sind diesmal die christlichen Wahlbezirke. Dort konkurrieren Michel Aouns Freie Patriotische Front mit den ultra-rechten Parteien der Falange und den Libanesischen Kräften. In der im Norden gelegenen Stadt Tripoli kämpft erneut Saad Hariris Zukunftspartei gegen pro-syrische Oppositionsgruppen um den sunnitischen Stimmenanteil. 2005 soll der Milliardär Saad Hariri allein in diesen Wahlbezirk drei Millionen Dollar für den Wahlkampf investiert haben. Wie viel es diesmal wird, ist nicht bekannt. Der Sohn des 2005 ermordeten Premierministers Rafik Hariri gilt jedoch auch diesmal als großzügigster finanzieller Spender.
Der libanesische Präsident Michel Sleiman, ein maronitischer Christ, prognostiziert derzeit einen Zugewinn der Opposition. "Die Ergebnisse werden ähnlich wie 2005 sein - mit dem Unterschied von zwei Abgeordneten, was die Opposition nicht in die Regierung bringt, aber in eine stärkere Position." Mit diesem Ergebnis könnten auch die USA und Europa leben. Ein Wahlsieg der Opposition und eine Regierung, in der Hisbollah wichtige Ministerposten einnimmt, ist dagegen kaum erwünscht. Allerdings haben der Außenminister Russlands und Frankreichs bereits betont, dass sie jedes Wahlergebnis, solange es demokratisch und transparent zustande gekommen ist, anerkennen werden.