Pakistan
Im Swat-Tal kämpft die Regierung gegen die Taliban - und um ihre Existenz
Pakistans Swat-Tal, die malerische "Schweiz Asiens" ist zum Tal der zerstörten Hoffnungen geworden. Hier spielt sich im Moment die Schlacht ab, die möglicherweise über die gesamte Zukunft des südasiatischen Landes entscheiden wird. Hier kämpft die Armee gegen ein Heer von Taliban, die die gesamte Region überrannt haben: Ihnen hat die Regierung in Islamabad unter dem starken Druck der USA den Krieg erklärt - ein Krieg ohne Rücksicht auf Verluste. Die Opfer sind die Zivilisten.
Das einst idyllische Ferienziel mit den pittoresken Bergen, den lieblichen Tälern und den für ihre Toleranz und Friedlichkeit bekannten Menschen ist seit zwei Jahren zum Tummelplatz fanatischer Extremisten geworden. Wo es früher kaum ein Dutzend Mordfälle im Jahr zu melden gab, verbreiten sie nun Angst und Schrecken. Jetzt hat die pakistanische Armee eine beispiellose Militäroffensive gegen die Taliban gestartet, die den Menschen in Swat zusätzlich Tod und Verderben bringt.
Abgeschnitten von Wasser, Elektrizität und Kommunikation ist der Alltag nicht mehr zu bewerkstelligen. Ein beispielloser Exodus hat begonnen. Hunderttausende verlassen ihre Häuser und lassen all ihr Hab und Gut zurück. In Buner und Shangla, den am stärksten betroffenen Gebieten in Swat, laufen um die 70 Prozent der Bevölkerung um ihr nacktes Leben. Die Zahl wird möglicherweise, so Experten, in den kommenden Wochen auf 1,5 Millionen Menschen steigen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat bereits Alarm geschlagen: Eine solche Massenflucht hat es in diesem Teil der Welt das letzte Mal Ende der 1970er Jahre gegeben, als die Sowjets in Afghanistan eingefallen waren.
Die Regierung, zu schwach, um durchzugreifen, hatte vor drei Monaten in Swat in den sauren Apfel gebissen und mit den Extremisten ein Abkommen geschlossen: ein Ende der Kämpfe zwischen Armee und Militanten um den Preis der Scharia. Doch diesen Deal haben die Taliban gründlich gebrochen. Sie betrachteten ihn als Freibrief, das Swat-Tal zu übernehmen, und als Zeichen der Ohnmacht der Regierung. Nicht wenige Experten stimmen ihnen zumindest in diesem Punkt zu. Islamabad blieb nichts anderes übrig, als mit aller Härte durchzugreifen, schon allein, um Stärke zu demonstrieren. Die Schlacht um Swat ist tatsächlich eine Schlacht um das Überleben der Regierung Präsident Asif Ali Zardaris.
Je deutlicher die Schwäche und Zerrissenheit der Regierung in Islamabad zutage tritt, desto mehr wächst die internationale Sorge über die Sicherheit der pakistanischen Atomwaffen. Allerdings halten Experten das Nukleararsenal bisher für sicher. Schon 1999 hat der damalige Präsident Pervez Musharraf die "National Command Authority" (NCA) ins Leben gerufen, eine Behörde, in der hochrangige Führer aus Politik, Militär und Geheimdienst gemeinsam das Atomprogramm kontrollieren. Analysten sehen den einzigen Schwachpunkt in der Rolle des Geheimdienstes ISI. Noch immer gibt es begründete Zweifel, ob Teile des ISI nicht mit den Taliban unter einer Decke stecken.
Die physische Sicherung der Waffen scheint zuverlässig: Die Sprengköpfe und Detonations-Komponenten der 60 bis 100 Atomwaffen sind voneinander getrennt und werden in verschiedenen gut gesicherten unterirdischen Einrichtungen aufbewahrt. Die Bewacher und Angestellten werden sorgfältig überprüft. Außerdem sind die Sprengköpfe mit dem höchsten Standart der Nuklearschutz-Technologie ausgestattet, den so genannten "Permissive action link", ein System, mit dem man Waffen davor schützen kann, ohne die richtigen Codes zu detonieren. Im Ernstfall, davon gehen Beobachter aus, werden die USA sofort eingreifen, sollte das Arsenal in Gefahr geraten. Doch gerade diese Aussicht ist für viele Pakistaner eher ein Worst-Case-Szenario als eine echte Erleichterung.
Auch die humanitäre Krise in Swat, befürchten viele in Pakistan, könnte den USA einen Vorwand liefern, zu intervenieren und noch tiefer auf pakistanisches Territorium vorzudringen. Dies würde die Regierung in Islamabad weiter schwächen, ist doch deren Nähe zum Westen und zu Washington vielen, auch gemäßigt denkenden Pakistanern ein Dorn im Auge. Die wiederholten Luftangriffe amerikanischer Drohnen auf Islamistenstützpunkte sorgen sowieso schon für heftige Kontroverse im Land. Immer wieder sind Zivilisten unter den Opfern. Die Menschen , so sehen Beobachter es voraus, werden die Regierung für die Misere verantwortlich machen, nicht die Taliban. Das gibt ihnen die Gelegenheit, sich weiter auszubreiten, neue Anhänger zu rekrutieren und jenseits der Grenze, in Afghanistan, ihren Eroberungskrieg weiterzuführen. Längst ist aus den beiden Schauplätzen im Anti-Terrorkrieg ein einziges großes Schlachtfeld geworden. Gemeinsam kämpfen die Taliban auf beiden Seiten der Grenze gegen die ausländische Präsenz in ihren Ländern und gegen die Regierungen, die sie als Marionetten des Westens betrachten.
In Afghanistan stehen auch Soldaten der Bundeswehr diesem skrupellosen Feind gegenüber. Im Norden des Landes - dem Einsatzgebiet der 3.730 deutschen Soldaten -wird die Situation brisanter. Am 20. August sollen die Afghanen einen neuen Präsidenten wählen. Aus diesem Anlass schickt Deutschland 600 zusätzliche Truppen. Die Taliban werden alles daransetzen, dieses demokratische Ereignis zu stören und größtmögliches Chaos zu schaffen. Die Tatsache, daß kurz darauf auch in der Bundesrepublik gewählt wird, könnten sie durchaus zum Anlass nehmen, die Deutschen noch stärker ins Visier zu nehmen.