EUROPARAT
Parlamentarier kritisieren Kandidatenliste
Die Provokation steht eher in einem Nebensatz: in einem Kommuniqué, das nach der Sitzung des Ministerkomitees vergangene Woche in Madrid veröffentlicht wurde: Das höchste Gremium des Europarats präsentiert trotz wütender Proteste der Parlamentarischen Versammlung den 318 Abgeordneten für die Wahl des neuen Generalsekretärs im Juni zwei ehemalige Regierungschefs - Thorbjoern Jagland (Norwegen) und Wlodzimierz Cimoszewicz (Polen). Zwei Kandidaten aus den Reihen der Parlamentarier wurden damit ausgebootet. Das führte in einer ersten Reaktion zu wilden Gerüchten im Palais de l'Europe: Möglicherweise werde das Parlament die Wahl des neuen Chefs boykottieren.
Joachim Hörster (CDU) glaubt indes nicht, dass es zu einer solch spektakulären Aktion kommen wird: "Wo soll das sonst enden?", fragt der Leiter der Bundestagsdelegation in Straßburg. Er glaubt, die Abgeordneten würden sich trotz Verärgerung bald auf die Frage konzentrieren, was für und was gegen Jagland und Cimoszewicz spricht.
Vordergründig geht es bei diesem Clinch bloß um Personalgerangel. Im Kern steht jedoch der Kurs des Europarats gegenüber der EU zur Debatte: Soll sich der Staatenbund mit einem prominenten Namen an der Spitze als Nachfolger des eher farblosen Briten Terry Davis gegenüber der Brüsseler Konkurrenz stärker profilieren? Denn der Europarat gerät zusehends in den Schatten der EU. Inzwischen engagiert sich Brüssel sogar auf dem ureigensten Terrain des Europarats und hat in Wien eine Grundrechteagentur etabliert.
Das Ministerkomitee, in dem die 47 Außenminister in der Regel durch ihre Straßburger Botschafter vertreten werden, nutzt seine Machtposition im Palais de l'Europe: Der Generalsekretär wird zwar vom Parlament gekürt, den Abgeordneten werden die Bewerber jedoch vom Diplomatengremium vorgeschlagen. Bislang war es indes Usus, dass diese Runde bereits die Vorauswahl der Kandidaten mit der Volksvertretung intern besprochen wurde.
Dieses Mal freilich nicht, weswegen die Parlamentarier jüngst in einer Sitzung den Aufstand probten und das Ministerkomitee demonstrativ aufforderten, neben Cimoszewicz und Jagland auch zwei Abgeordnete auf die Bewerberliste zu setzen: den Belgier Luc van den Brande, Fraktionschef der EVP, und den Ungar Mathias Eörsi, Vorsitzender der Liberalen. Der holländische Christdemokrat René van der Linden empört sich über einen "Staatsstreich in unserer Institution". Aus Sicht des Schweizers Andreas Gross, des Fraktionschefs der Sozialisten, droht der Europarat gar zum "Krankenhaus der Demokratie" zu werden.
Doch das Aufbegehren des Parlaments lässt die Diplomatenriege kalt: Van den Brande und Eörsi bleiben auch weiterhin von der Kandidatenliste verbannt. Das Ministerkomitee stört sich auch nicht am Verstoß gegen Proporzregeln: Nach dem Labour-Mann Davis wäre eigentlich ein politisch andersfarbiger Generalsekretär an der Reihe gewesen - doch auch die beiden Ex-Regierungschefs sind Sozialisten. Der Europarat steht so bislang vor einem Bruch mit Traditionen.