SPÄTABTREIBUNG
Ärzte werden verpflichtet, Schwangere ausführlich zu informieren
Es ist wohl eine der schlimmsten Situationen, die sich eine schwangere Frau vorstellen kann - ihr Wunschkind strampelt schon munter in ihrem Bauch, dann kommt die Diagnose des Arztes: Das Kind wird wahrscheinlich behindert sein. Vielleicht ist es sogar nicht lebensfähig. Für die Frau bricht eine Welt zusammen. Zwar wusste sie, dass vorgeburtliche Untersuchungen ergeben können, dass das Kind kein Gehirn hat, einen offenen Rücken oder das Down Syndrom. Doch sie wollte sich nur bestätigen lassen, dass ihr Kind gesund ist. Jetzt steht sie vor der Entscheidung, ein Kind zu bekommen, was vielleicht sein Leben lang leiden wird, oder es abzutreiben und ihm damit nicht die Chance zum Leben zu geben.
Es sind Situationen wie diese, über die der Bundestag am 13. Mai emotional, aber sachgerecht debattierte. Am Ende stand die Entscheidung: Das Schwangerschaftskonfliktgesetz wird um die Pflicht des Arztes erweitert, die Frau medizinisch und psychologisch zu beraten. Gegebenenfalls soll er Kollegen in die Beratung einbeziehen. Er muss die Schwangere auf ihr Recht auf eine psychosoziale Beratung hinweisen. Zwischen der Diagnose und der ärztlichen Feststellung, dass die Voraussetzungen für einen Abbruch gegeben sind, müssen künftig mindestens drei Tage liegen. 326 Abgeordnete stimmten diesem Gesetzentwurf zu, der aus der Zusammenlegung der Vorlagen ( 16/11106, 16/11347, 16/11330) dreier Parlamentariergruppen um die Abgeordneten Johannes Singhammer (CSU), Kerstin Griese (SPD) und Ina Lenke (FDP) entstanden war. 234 Abgeordnete stimmten dagegen, Enthaltungen gab es keine.
Die Befürworter dieses Entwurfs betonten, es gehe ihnen weder um eine Bevormundung der Frau noch um eine Abkehr des geltenden Paragrafen 218, in dem die Straffreiheit bei Abtreibungen unter bestimmten Voraussetzungen geregelt ist. Der Arzt werde verpflichtet, die Schwangere zu beraten, es werde aber "ganz klar von der freien Entscheidung der Schwangeren abhängig gemacht, dieses Angebot in Anspruch nehmen zu wollen", sagte Ilse Falk (CDU). "Es geht um bessere Beratung und darum, eine gute Entscheidung fällen zu können", ergänzte Griese. Sie wolle lediglich sicherstellen, dass die Diagnose "behindert", argumentierte die Abgeordnete, "nicht automatisch bedeutet, dass Kinder mit Down-Syndrom gar nicht mehr auf die Welt kommen". Es solle eine Entscheidung sein, "mit der Mütter und Väter ihr Leben leben können", sagte Katrin Göring-Eckhardt (Grüne). Sie sei dafür, Eltern genug Zeit und ausreichend Beratung zu geben.
Ebenfalls für eine Gesetzesänderung hatten Christel Humme (SPD) und andere Abgeordnete in einem weiteren Entwurf ( 16/12664) plädiert. Sie sprachen sich für eine Beratungspflicht des Arztes vor den Untersuchungen über Chancen und Risiken der Pränataldiagnostik aus. Der Arzt sollte ebenfalls verpflichtet sein, die Schwangere auf ihr Recht hinzuweisen, sich psychosozial beraten zu lassen. "Eine Frau soll sich gut informiert entscheiden können, welche vorgeburtlichen Untersuchungen sie machen lassen möchte und ob sie gar auf eine weitergehende derartige Untersuchung verzichtet", sagte Humme. Eine festgelegte Mindest-Bedenkzeit könne in Einzelfällen, etwa wenn das Kind mangels Gehirn oder Lunge definitiv nicht lebensfähig sei, "grausam" sein. Deswegen sei in ihrem Gesetzentwurf lediglich von einer "ausreichenden Bedenkzeit" die Rede. "Frauen, die sich gut aufgeklärt für eine solche Untersuchung entscheiden und wissen, was für ein Fund möglicherweise zu erwarten ist, werden eine größere Chance haben, nicht in einen überwältigenden Schockzustand zu geraten", begründete Birgitt Bender (Grüne) die Beratung vor der Diagnostik sowie die undefinierte Bedenkzeit. "Der Begriff ,ausreichend' ist meines Erachtens nicht zu fassen", hielt FDP-Frau Lenke der Gruppe um Humme entgegen. Über den Humme-Entwurf wurde allerdings nicht mehr abgestimmt, weil der Gesetzentwurf von Singhammer und Unterstützern schon angenommen war. Angenommen wurde aber ein ebenfalls von Humme vertretener Antrag ( 16/11342) zur Änderung der Mutterschafts-Richtlinien.
Gegen eine Gesetzesänderung wandte sich Kirsten Tackmann (Die Linke), die mit Kollegen einen eigenen Antrag ( 16/11377) eingebracht hatte. "Auf Kosten der betroffenen Frauen und der Fachärzteschaft" solle der Kompromiss zu Abtreibungen von 1995 aufgekündigt werden, kritisierte sie. Ein Recht auf Beratung gebe es bereits, die Änderungen bedeuteten indes eine "Pflichtberatung". Ihr Antrag wurde mit 498 Nein- gegen 48 Ja-Stimmen bei 11 Enthaltungen abgelehnt - ebenso wie eine Erweiterung der Statistik über Abtreibungen, für die vor allem Singhammer geworben hatte.