RÜCKBLICK
Spannung und Heiterkeit: ein Streifzug durch zwölf Bundesversammlungen
Eine Premiere ist der 13. Bundesversammlung bereits sicher: Zum ersten Mal treten mit Bundespräsident Horst Köhler und seiner SPD-Herausforderin Gesine Schwan zwei Kandidaten an, die bereits bei der vorherigen Wahl des Staatsoberhauptes aufeinandergetroffen waren. Damals, 2004, setzte sich Köhler, wie in diesem Jahr von Union und FDP nominiert, schon im ersten Wahlgang durch, obgleich Schwan mindestens sieben Stimmen aus seinem Lager zu sich herüberziehen konnte.
Zugleich erinnert die Konstellation an die bislang wohl spannendste Bundespräsidentenwahl, nämlich die vom 5. März 1969. Wie heute regierten damals Union und SPD zusammen in einer Großen Koalition die Bundesrepublik, in der Berliner Ostpreußenhalle aber ließen sie zwei Mitglieder des Bundeskabinetts gegeneinander antreten. Für die Union kandidierte Gerhard Schröder (nicht zu verwechseln mit dem späteren Bundeskanzler), lange Zeit erst Innen-, dann Außen-, schließlich Verteidigungsminister; für die SPD bewarb sich Justizminister Gustav Heinemann, als CDU-Mitglied unter Adenauer einst selbst Innenminister und mittlerweile Sozialdemokrat.
In den zwei ersten Wahlgängen verfehlten beide die erforderliche absolute Stimmenmehrheit, wobei Heinemann knapp vor seinem Kabinettskollegen lag. Im dritten Wahlgang, bei dem die relative Mehrheit reicht, gewann er mit 50,0 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ausschlaggebend war die FDP, die damit den ersten SPD-Politiker ins höchste Staatsamt wählte - ein Vorbote der sozialliberalen Koalition, die die Union wenig später auf die Oppositionsbänke schickte.
Nicht jede Bundesversammlung bot einen solchen "Wahlkrimi". 1979 und 1984 etwa war das Ergebnis von vornherein klar, da die Union die absolute Mehrheit in dem Gremium hatte. Da nutzte es der SPD 1979 auch nichts, mit Ex-Bundestagspräsidentin Annemarie Renger erstmals eine Frau ins Rennen zu schicken. Renger, die dem CDU-Mann Karl Carstens unterlag, war dabei für ihre Partei nur "zweite Wahl": Ursprünglich hatte die SPD die Kandidatur dem hochangesehenen Physiker und Philosophen Carl-Friedrich von Weizsäcker angetragen, der jedoch abwinkte. Andernfalls hätte er wohl mit seinem jüngeren Bruder Richard die Erfahrung teilen müssen, in der Bundesversammlung zu unterliegen.
Richard von Weizsäcker nämlich stand bei der Wahl 1974 als Unions-Bewerber auf aussichtslosem Posten gegen die sozialliberale Mehrheit und deren Kandidaten Walter Scheel. Beim zweiten Anlauf erhielt er dafür zehn Jahre später auch zahlreiche Stimmen der SPD und erzielte ein Spitzenergebnis von 80,9 Prozent. Bei seiner Wiederwahl 1989 gab es zum einzigen Mal keine Gegenkandidaten: Der Amtsinhaber galt als Idealbesetzung und wurde mit 86,2 Prozent bestätigt - ein Wert, den nur Gründungspräsident Theodor Heuss bei seiner Wiederwahl 1954 mit 88,2 Prozent übertraf.
Heuss hatte damals ebenfalls die Zustimmung auch der meisten Sozialdemokraten gefunden. Bei der ersten Bundespräsidentenwahl 1949 musste er sich dagegen noch gegen den SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher durchsetzen, was er im zweiten Wahlgang auch schaffte.
"Pfui"-Rufe gab es bei seiner Wiederwahl 1954 bei Bekanntgabe des Wahlergebnisses, als sich eine Stimme für den noch als Kriegsverbrecher inhaftierten Karl Dönitz fand, 1945 kurzzeitiger Nachfolger Hitlers als Reichspräsident. Dass auf einem weiteren Stimmzettel der Enkel Wilhelms II. und Chef des Hauses Hohenzollern, Louis Ferdinand, als Staatsoberhaupt gewünscht wurde, erregte 36 Jahre nach dem Ende der Monarchie nur noch Heiterkeit in der Bundesversammlung. Auch auf Konrad Adenauer entfiel 1954 eine Stimme, obwohl er wie Dönitz und der Preußen-Prinz gar nicht nominiert war. Eng verknüpft ist der Name des ersten Bundeskanzlers mit der folgenden Präsidentenwahl von 1959, für die er zunächst seine Bewerbung angekündigt hatte. Drei Wochen vor der Wahl machte er einen Rückzieher, um als Regierungschef weiter die "Richtlinien der Politik" bestimmen zu können. Heuss-Nachfolger wurde Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke (CDU). Bei dessen Wiederwahl 1964 verzichtete die SPD - im Gegensatz zur FDP - auf einen Gegenkandidaten: Die erste Große Koalition kündigte sich an.
Mit gleich vier Gegenkandidaten hatte es emgegenüber 1994 Roman Herzog zu tun. Als Unions-Bewerber für deren ursprünglichen, dann aber zurückgezogenen Kandidaten Steffen Heitmann aus Sachsen angetreten, konnte sich Herzog erst im dritten Wahlgang mit Unterstützung der FDP gegen Johannes Rau behaupten.
Rau wiederum gelang fünf Jahre später im zweiten Anlauf der Sprung an die Staatsspitze. Verheiratet mit der Enkelin seines politischen Ziehvaters Heinemann, musste er sich dabei auch gegen dessen von der damaligen PDS nominierten Tochter Uta Ranke-Heinemann durchsetzen.
Der zweite Sozialdemokrat im höchsten Staatsamt nahm es launig: "An dem Wort ‚Familienbande' ist viel Wahres dran", bemerkte Rau - nach seiner Wahl, wohlgemerkt.