Die politische Instrumentalisierung der Medien in der SBZ/DDR war nach 1990 Gegenstand zahlreicher Publikationen. Dabei stand die Funktionsweise des Parteiapparates der SED mit ihren Auswirkungen auf Rundfunk und Presse im Zentrum des Interesses. Weiter reichende Fragen nach dem Charakter des Staates sowie der Art und Weise der Machtsicherung mit Hilfe der Medien mussten den Historikern überlassen bleiben.
Dieses Themas hat sich nun Christoph Classen vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam angenommen. Ausgehend von der starken Selbstfixierung der DDR als "antifaschistischer Staat" widmet er sich der Frage, wie die NS-Vergangenheit zur Legitimation der Herrschenden beitragen und die Beherrschten zur Identifizierung mit dem System veranlassen sollte. Die zentrale Frage des Autors lautet: Hatte die antifaschistische Vergangenheitsdeutung die beabsichtigte sinnstiftende Wirkung in der Gegenwart der frühen DDR? Und trug sie zur Etablierung und zum weiteren Bestand des Systems bei?
Der Rundfunk der Nachkriegszeit ist dafür als Forschungsgegenstand besonders geeignet. Über das zentral gelenkte Medium Radio konnte zu einer Zeit, als es noch keinen Fernsehempfang gab, ein großes Publikum erreicht werden. Das erlaubt Rückschlüsse auf das Funktionieren massenmedialer Kommunikation im Staatssozialismus, wenn - wie hier geschehen - das Programmangebot und die Nutzung seitens der Bevölkerung gründlich analysiert werden.
Im einleitenden Theorie-Kapitel stellt der Autor in Anlehnung an die Diskurstheorie Foucaults die These auf, dass Faschismus und Antifaschismus in der DDR nicht nur Bestandteil eines fachwissenschaftlichen, literarischen und politischen Diskurses waren, sondern dass die öffentliche Auseinandersetzung mit dem NS-Regime "selbst einen hegemonialen Diskurs konstituiert" habe. Es folgt dann ein Überblick über die Entwicklung des "Faschismus als Kampfbegriff" in der kommunistischen Bewegung von 1921 bis 1933 und während des Zweiten Weltkrieges. Dabei werden insbesondere die sowjetischen Strategien erläutert, die es Stalin gestatteten, das Faschismus-Antifaschismus-Paradigma für die eigene Großmachtpolitik zu nutzen.
Die "Repräsentationen des Nationalsozialismus im Hörfunk" stehen im Zentrum der Darstellung. Der Autor untersucht den Diskurs über die "NS-Vergangenheit" in drei Analysen zu den Themen "Verfolgung und Repression", "Krieg" und "Widerstand" und fragt, ob die von 1945 - 1953 gebräuchliche politische Aufklärungsmethode das gewünschte Ergebnis gebracht hat. Dabei geht es sowohl um inhaltliche Aspekte als auch um materielle Grundlagen.
In den Jahren 1945 - 1947/48 habe die Sowjetische Militärverwaltung (SMAD), so der Autor, nicht nur den Aufbau des Sendernetzes vorangetrieben, sondern auch Einfluss auf alle wichtigen Personalentscheidungen genommen und eine Vor- und Nachzensur des gesamten Programms ausgeübt. Er zeigt, wie die SMAD ihre Perspektive bei der Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialismus durchzusetzen und damit die Besatzungsherrschaft zu legitimieren versuchte. Das sei um so weniger gelungen, als Sendungen über das Schicksal von KZ-Häftlingen, von sowjetischen Kriegsgefangenen und jüdischen Opfern kaum vermittelbar waren, da sich die Besiegten keine Verantwortung oder gar Schuld eingestehen wollten.
Anders habe es sich beim Thema Widerstand verhalten. Zwar hätten Auseinandersetzungen mit kommunistisch oder sozialistisch motiviertem Widerstand überwogen, doch auch christlicher Protest, bürgerliche und militärische Resistenz und der "alltägliche" Widerstand Einzelner sei zur Sprache gekommen. Die Einbeziehung verschiedener politischer Richtungen und Milieus habe zum Ziel gehabt, die bis 1947 von den Sowjets und ihren Gefolgsleuten in der SED angestrebte "antifaschistische Konsenspolitik der Gegenwart" zu beglaubigen und der Bevölkerung ein Integrationsangebot zu unterbreiten.
Die zweite Phase der Auseinandersetzung mit Faschismus und Antifaschismus umfasst die Jahre 1948 bis 1953. In dieser Zeit habe der beginnende Kalte Krieg die Entwicklung des Rundfunks maßgeblich beeinflusst. Angesichts der starken Konkurrenz aus dem Westen seien die ostdeutschen Rundfunkstationen ausgebaut worden; mit dem Deutschlandsender sei im Herbst 1948 ein speziell auf Westdeutschland zielendes Programm hinzu gekommen. Am Ende stand eine völlige Unterordnung des Rundfunks unter die Partei. Dabei sind die Passagen über den umfassenden Personalaustausch im Zuge von Parteisäuberungen und über die "radikalen organisatorischen Reformen" im Zuge der 1952 vollzogenen Zentralisierung des Rundfunks von besonderem Interesse.
Auch auf der Programmebene bedeutete das Jahr 1948 eine Zäsur. Der Autor konstatiert eine Politisierung und Wortlastigkeit fast aller Programmbereiche. Beim Thema NS-Vergangenheit wird eine "Entkonkretisierung", eine "immer stärkere Orientierung des Diskurses an gegenwartsbezogenen Fragen" deutlich. Im Vordergrund habe die kritische Darstellung der Entnazifizierungspraxis in den Westzonen und die Behauptung gestanden, dort entwickele sich ein "neuer Faschismus", der sich mit dem "Imperialismus" der USA verbünde. Indem man den Westen diskreditierte, sollte die "Notwendigkeit einer radikalen gesellschaftlichen Umwälzung" durch eine "sozialistische Transformationspolitik" als zwingend erscheinen.
Am Ende erfährt man, wie es um die technische Reichweite der Sender bestellt war und wie die Sendungen von der Hörerschaft genutzt wurden. Die Festlegung auf die Perspektive der Partei, so das Fazit, ihr absoluter Wahrheitsanspruch und ihre Unfähigkeit zur Kommunikation habe dazu geführt, dass "das Medium für die politische Verständigung fast vollständig ausfiel". Der "reale Bruch" zwischen der Parteispitze und der Bevölkerung, der 1989 schließlich zum Umsturz führte, hat hier seine Wurzeln.
Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Kurzbiografien der wichtigsten Akteure ergänzen diese substanzreiche und gut lesbare Studie, der eine breite Leserschaft zu wünschen ist.
Christoph Classen
Faschismus und Antifaschismus.
Die nationalsozialistische Vergangenheit im ostdeutschen Hörfunk 1945 - 1953.
Zeithistorische Studien, Band 27. Hrsg. vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.
Böhlau Verlag, Köln/Weimar 2004; 384 S.,44,90 Euro