Man kann die Dinge auch positiv sehen: Seit den gescheiterten Referenden in Frankreich und Holland ist die EU Top-Thema, egal ob in Brüssel oder Berlin, am Stammtisch oder auf eilig einberufenen Krisengipfeln. Nun zeigen übersichtliche Grafiken in Print und Fernsehen, was da eigentlich drin steht, in dieser so heiß diskutierten Verfassung, reden alle über Versäumnisse in der Politikvermittlung und eine mögliche "Denkpause".
Der Katalane Josep Borrell gehört anscheinend zu diesen überzeugten Europäern, die in der Misere auch Gutes entdecken. Der Präsident des Europäischen Parlaments jedenfalls verbreitete im Gespräch mit Schülern und Studenten über die Zukunft Europas am vergangenen Montag im Berliner Abgeordnetenhaus viel Zuversicht, ohne die Probleme kleinzureden. "Wer hätte jemals gedacht, dass dieser lange und komplexe Text der EU-Verfassung auf einmal zu einem Bestseller würde?", fragte er in die Runde, räumte aber auch ein, dass die politisch Verantwortlichen Fehler gemacht hätten. Schließlich habe die Krise Europas, so Borrell, doch sehr mit der Art und Weise zu tun, wie Politik gemacht werde. Sein Fazit: "Die Repräsentanten des politischen Systems schaffen es einfach nicht, bei den Menschen Interesse für Europa zu wecken."
So viel Offenheit kam an bei den jungen Leuten. Sie freuten sich nach der Veranstaltung darüber, wie "sympathisch" und "kompetent" der Präsident aufgetreten sei und wie gut er das Europäische Parlament vertreten habe. Überhaupt erwiesen sie sich als schier unerschütterliche Europa-Fans - informiert, interessiert und voller Optimismus. Viele studieren Politik oder besuchen Leistungskurse in Politischer Weltkunde oder Geschichte. Einige hatten sogar als Teilnehmer des Europäischen Jugendkonvents 2002 selbst Vorschläge für die Verfassung erarbeitet. Ganz klar, dass diese jungen Menschen bei einem Referendum nicht gegen die Verfassung gestimmt hätten, so wie das über 60 Prozent der unter 25-Jährigen in Frankreich und den Niederlanden getan haben. Waren sie da nicht überflüssig auf einer Veranstaltung, die offenbar das Ziel hatte, jungen Menschen die Europäische Union näher zu bringen?
Diesem Widerspruch ist die EU - aber auch die nationale Politik - immer wieder ausgesetzt. Mit Informationen erreicht sie ausgerechnet die Menschen schwer, die sie am meisten brauchen, weil sie sich nicht für Politik interessieren. Die 21-jährige Julia sieht darin die Gründe für die negativen Entwicklungen in der EU: "Die Unwissenheit ist groß. Es scheinen vor allem die uninformierten Leute gewesen zu sein, die gegen die Verfassung gestimmt haben." Sie wundert daher, "warum die EU nicht mehr Info-Veranstaltungen macht oder Events wie die Love-Parade nutzt, um für ihre Sache zu werben". Als sie sich mit ihren Kommilitonen die Internet-Seiten des EU-Parlaments angesehen habe, sei ihr außerdem eines aufgefallen: "Die sind so schlecht gemacht, dass nur wer konkret nach Informationen sucht, sie auch bekommt."
Wer sucht, der findet? Nicht gerade die Idealvorstellung einer europäischen Informationspolitik. Der Parlamentspräsident, das Problem vor Augen, warnte die Jugendlichen vor zu großen Erwartungen: "Verlangt keine simplen Lösungen für komplexe Umstände", sagte Borrell, und unterstrich einmal mehr, wie fruchtbar die derzeitige Kontroverse für Europa sein kann: "Die Krise bedeutet Gefahr. Aber sie bedeutet auch eine Chance! Wir sollten uns freuen, dass wir einer Europäisierung der Politik beiwohnen. Und überhaupt: Die Menschen haben sich doch nicht generell gegen Europa ausgesprochen. Wir haben ihnen bisher nur keine adäquaten Antworten auf ihre Fragen gegeben." Die zu finden, wird in den kommenden zwei Jahren auch seine Aufgabe sein.