Trotz der Ablehnung der Franzosen und Niederländer hält die EU ohne Einschränkung an der Verfassung fest, so der einhellige Beschluss der Staats- und Regierungschefs am ersten Gipfeltag. Dennoch beschlossen sie, den zeitlichen Rahmen für den Ratifizierungsprozess zu strecken. Mit dem so genannten "Plan D" soll in der Öffentlichkeit ein intensiverer Dialog über die Verfassung ermöglicht werden. Statt wie bisher vorgesehen das Ratifizierungsverfahren im Herbst 2006 abzuschließen, wollen sich die Staats- und Regierungschefs bis zu ihrem Treffen im Juni 2007 unter österreichischer Präsidentschaft entscheiden, wie der Prozess weitergehen soll, erklärte der Luxemburger EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker auf dem Gipfeltreffen. Bis dahin habe jedes Mitgliedsland die Möglichkeit, autonom und souverän über den besten Weg und Zeitpunkt der Ratifizierung zu entscheiden. Neuverhandlungen über den Inhalt der Verfassung schloss Juncker aus: "Einen besseren Vertrag gibt es nicht!"
Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte, niemand habe sich gegen den Inhalt des Verfassungsvertrages ausgesprochen. Als Reaktion auf den Beschluss sagte Dänemark die für den 27. September vorgesehene Volksabstimmung ab. Es gebe keinen neuen Termin, da die Zukunft des Vertragswerks unklar sei, erklärte der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen. Auch Portugal will jetzt die Entscheidung verschieben. Entsprechende Beschlüsse werden auch in Schweden, Irland, der Slowakei und in Tschechien erwartet. Ratifiziert wurde die Verfassung bislang von zehn EU-Staaten.
In Deutschland hat Bundespräsident Horst Köhler angekündigt, seine Unterschrit erst dann unter den Rechtsakt zu setzen, wenn das Bundesverfassungsgericht über eine Beschwerde des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler entschieden hat.
Obwohl die Erweiterung der EU als einer der Gründe für den negativen Ausgang der Referenden angesehen wird, wollen die Regierungschefs an dem vorgesehenen Fahrplan zur Aufnahme neuer Mitglieder festhalten. Das gilt besonders für die am 1. Januar 2007 geplante Aufnahme Rumäniens und Bulgariens. Auch der Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei soll wie vorgesehen am 3. Oktober 2005 erfolgen, wenn von der Regierung in Ankara alle notwendigen Voraussetzungen, darunter die Anerkennung Zyperns, erfüllt werden. Bei Kroatien hängt der Termin nach wie vor von einer uneingeschränkten Zusammenarbeit des Landes mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal ab.
In einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag forderte Bundeskanzler Schröder am 17. Juni ein Bekenntnis zur EU-Verfassung "ohne wenn und aber". Er mahnte an, dass Europa nicht nur als Markt existieren dürfe, sondern ökonomische Existenz mit sozialer Integrität verbinden müsse. Gleichzeitig rief Schröder die anderen EU-Staaten im Vorfeld des Gipfels zur Kompromissbereitschaft auf.
Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU) warf dem Kanzler vor, nicht angemessen auf die europäische Krise zu reagieren. In Fragen der Erweiterung und der Vertiefung stehe Europa am Scheideweg, so Merkel. Sie unterstrich erneut ihre Forderung, der Türkei keine Vollmitgliedschaft, sondern eine privilegierte Partnerschaft anzubieten.
FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhard forderte in seiner Rede ein "schmaleres Verfassungswerk". Die Begreifbarkeit Europas hänge auch davon ab, die Ziele der EU einfach darzustellen, so Gerhardt. Die Fraktionschefin der Grünen, Christa Sager, unterstrich, dass Europa die Antwort auf die Globalisierung sei und warnte vor nationalstaatlichen Egoismen.