ISRAEL
Aus den Parlamentswahlen ist kein klarer Sieger hervorgegangen. Nun gibt es harte Verhandlungen
Die israelischen Parlamentswahlen vom 10. Februar hatten ein eindeutiges Ergebnis: Die seit Jahrzehnten andauernde Pattsituation zwischen Rechts und Links bleibt bestehen. Die Knesset, Israels Parlament, ist politisch gelähmt, das Land bleibt nach der fünften Wahl in zehn Jahren unregierbar. Noch Tage nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse wusste niemand, wer die Wahlen eigentlich gewonnen hatte.
Inmitten der Koalitionsverhandlungen, die unmittelbar nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen begannen, war den verschiedenen Akteuren nur eines klar. Das Wahlsystem benötigt eine Reform. Wieder einmal zogen zwölf Parteien in die Knesset ein. Jede regierungsfähige Koalition wird mehrere Partner benötigen und kann somit schnell bei der nächsten Krise fallen. Eine solche Krise scheint aufgrund der Meinungsvielfalt in der Knesset bereits jetzt unvermeidbar.
Kurz nachdem die ersten Hochrechnungen veröffentlicht wurden, verkündeten die zwei wichtigsten Kontrahenten ihren Wahlsieg. Zuerst trat Oppositionsführer Benjamin Netanjahu vor die Kameras und erklärte: "Das israelische Volk hat klar gesprochen. Das rechte Lager, angeführt vom Likud, hat einen deutlichen Vorsprung. Ich werde mit Gottes Hilfe die Koalition formen." Aus seiner Sicht hatte Netanjahu Recht. Der rechte Block, Netanjahus natürliche Koalitionspartner, war auf 65 der insgesamt 120 Sitze hochgeschnellt. Ein deutlicher Rechtsruck.
Doch so eindeutig, wie Netanjahu das Wahlergebnis interpretierte, sahen es andere nicht. Kadima, die Partei der Mitte unter der amtierenden Außenministerin Zipi Livni und Erzrivalin des Likud, erhielt die meisten Stimmen und wurde zur größten Fraktion in der Knesset. Zwar besitzt Kadima mit 28 Mandaten nur einen Sitz mehr als der Likud. Für Livni war dies jedoch Anlass, nur kurz nach Netanjahus Rede selber als Vorsitzende der größten Partei den Wahlsieg für sich in Anspruch zu nehmen: "Das Volk hat Kadima gewählt", verkündete sie. Nur sie könne "eine Koalition der nationalen Einheit anführen", sagte Livni. Sie rief den Netanjahu dazu auf, sich einer Koalition unter ihrer Führung anzuschließen.
Livni wie Netanjahu stürzten sich umgehend ins politische Gemenge, um die eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich zu scharen. Am Wochenende zeichnete sich bereits ein Sieg Netanjahus ab, mit potenziell verheerenden Folgen für den Friedensprozess. Arabische Tageszeitungen beschrieben den Wahlausgang als das "Ende jeder Hoffnung". Israel habe sich für "Extremismus und Terrorismus entschieden", sagten ausgerechnet Sprecher der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen, die sich weigern, der Gewalt den Rücken zu kehren. Im Gazastreifen erwartet man von einem Premier Netanjahu einen neuen Krieg. Der käme den Islamisten entgegen, erleichtert er ihnen es doch, die Bevölkerung von der Sinnlosigkeit von Verhandlungen zu überzeugen.
Für den palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas wäre ein Ende des Friedensprozesses fatal. Er will eine internationale Koalition schmieden, die Netanjahu Verhandlungen aufzwingen soll. Netanjahu soll sich nach Amtsübernahme zur Zwei-Staaten-Lösung bekennen und einen Baustopp in den Siedlungen verkünden. Andernfalls würden keine Verhandlungen aufgenommen, erklärte Abbas, der darauf hofft, dass die EU den Likud schlimmstenfalls wie die radikal-islamische Hamas isoliert. Doch Netanjahu wird ein derartiges Versprechen kaum machen können. Er ist auf die Hilfe der radikalen Siedlerbewegung angewiesen, um Premier zu werden. Und die lehnt einen Palästinenserstaat grundsätzlich ab. Verhandlungen über weitere israelische Rückzüge wären für sie Anlass, die Regierung zu stürzen. Deswegen spricht Netanjahu höchstens von "wirtschaftlicher Entwicklung" als Basis für einen Friedensprozess. Die Gründung eines Palästinenserstaates will er auf lange Zeit verschieben.
Doch letzlich dominierten weder das iranische Atomprogramm, der Friedensprozess mit Syrien oder den Palästinensern, noch die Bedrohung durch die Raketen der Hamas nach den Wahlen die Diskussionen. Viele Politiker und Kommentatoren sahen in der Reform des Wahlsystems die dringlichste Aufgabe der nächsten Regierung. Ein schwacher Premier könne einen umstrittenen Friedensvertrag ohnehin nicht umsetzen, argumentierten sie. Um eine solche Reform herbeizuführen, benötigt Netanjahu die Unterstützung der großen Parteien, da die kleinen Parteien kein Interesse daran haben, ihre eigene politische Zukunft durch eine Anhebung der Zwei-Prozent-Hürde zu gefährden.
Die Israelis wünschen sich deswegen eine nationale Einheitsregierung von Likud, Kadima und dem wichtigsten Wahlsieger, den ultra-nationalistischen Avigdor Liebermann: Seine Partei wurde mit 15 Mandaten zur drittstärksten Kraft im Parlament. Netanjahu soll Livni und Liebermann bereits die wichtigsten Kabinettsposten angeboten haben, wie die des Finanz-, Außen- und Verteidigungsministers. Mit diesem Bund wären grundlegende Veränderungen im Wahlsystem möglich, die die Exekutive stärken und Israel nach den nächsten Wahlen wieder regierbar machen sollen. Erst danach könnte der Friedensprozess wieder in den Vordergrund rücken.