Die Volksabstimmung gilt den einen als Wundermittel für die Demokratie, den anderen als Gift. Wenn beide Seiten übertreiben, liegt das daran, dass schon so lange über Plebiszite gestritten wird, dass man vergessen hat, wie alles anfing: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes konnten dem Volk nicht verzeihen, dass es einst Hitler gewählt hatte. Deshalb beschränkten sie die Möglichkeiten, seinen Willen zur Geltung zu bringen, auf das absolute Minimum - auf die Bundestagswahl.
Anlass zum Nachdenken, ob das ein Dauerzustand bleiben dürfe, bestand nicht: Das Grundgesetz galt als Provisorium; demnächst wird das Provisorium 60 Jahre alt. Die Demokratie hat sich wunderbar gefestigt; gefestigt hat sich merkwürdigerweise auch der antiplebiszitäre Pessimismus. Er zeigt sich immer bei denjenigen Kräften, die gerade regieren: Sie wollen von "mehr Demokratie" nicht gestört werden.
Die Deutschen sollen nicht reif sein, sich hin und wieder in einer Volksabstimmung zu äußern? Sind die Deutschen im Bund andere als die in den Ländern? Alle Bundesländer kennen Plebiszite, sie funktionieren dort hervorragend. Was auf Länderebene gut ist, kann auf Bundesebene nicht des Teufels sein. Ein Plebiszit ist zwar kein Zaubertrank, den eine Demokratie nur in sich hinein schütten muss; es ist ein Hilfsmittel für die Demokratie, eine Medizin mit Nebenwirkungen. Und es verhält sich damit so wie mit allen Heilmitteln: Man muss sich halt Indikation und Dosierung genau überlegen.