GIPFEL
Die EU-Staaten einigen sich in Brüssel auf ein neues Konjunkturprogramm und weitere Maßnahmen gegen die Krise
In Zeiten der Krise wirkt die Summe wie der sprichwörtliche "Tropfen auf den heißen Stein": Fünf Milliarden Euro soll das europäische Konjunkturpaket betragen, auf das sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrem EU-Frühjahrsgipfel am 19. und 20. März in Brüssel geeinigt haben. Finanziert werden sollen daraus Energienetze und der Ausbau von breitbandigen, also schnellen Internetzugängen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konnte sich nach wochenlangen Querelen mit ihrer Forderung durchsetzen, das Förderprogramm auf die Jahre 2009 und 2010 zu befristen. "Sonst ist das kein Konjunkturimpuls", sagte sie in Brüssel. Neben der Verdoppelung der Hilfskredite für die osteuropäischen Staaten, die nicht der Eurozone angehören, einigten sich die 27 EU-Mitglieder darauf, ihren Beitrag für den Internationalen Währungsfonds (IWF) um mindestens 75 Milliarden Euro aufzustocken. Um notleidenden Staaten in der Finanzkrise zu helfen, soll das Budget des IWF damit auf insgesamt 500 Milliarden Dollar verdoppelt werden.
Mit ihren Beschlüssen bewies die Union, dass sie auch mit 27 Mitgliedstaaten in der Lage ist, in der Krise gemeinsame Lösungen zu finden. Genau das hatte auch die Bundeskanzlerin am 19. März in ihrer Regierungserklärung gefordert: "Das Motto heißt also Kooperation statt Abschottung", sagte sie. Zwei Fragen, erklärte Merkel, wolle sie in den Mittelpunkt des Gipfels stellen: Zum einen, wie die EU auf dem Finanzgipfel gemeinsame Lösungen finden und "dauerhaft gestärkt" aus der Krise hervorgehen könne. Zum anderen sei zu fragen: "Was müssen wir tun, um zu verhindern, dass sich eine solche Krise wiederholt?"
Als einen Grund der Krise führte sie an, dass "der bisherige Finanzmarktrahmen nicht mit der Globalisierung der Finanzmärkte Schritt gehalten" habe. Regelungsdefizite und falsch gesetzte Anreize hätten zu einer "verhängnisvollen Kettenreaktion" geführt. Neben der Vorbereitung des zweiten Weltfinanzgipfels in London Anfang April nannte sie eine zweite wichtige Aufgabe für dieses Jahr: die Klimakonferenz in Kopenhagen. Dort soll im Dezember eine Folge-Vereinbarung für das 2012 auslaufende Kioto-Abkommen getroffen werden. Beim Klimaschutz und bei der Frage einer internationalen Finanzarchitektur werde sich zeigen, sagte Merkel, "ob die Welt bereit ist, auf globale Fragen auch globale Antworten zu geben".
Mitgliedstaaten, die in Not geraten sind, sagte sie ihre Solidarität zu, schränkte aber ein, dass die wesentliche Verantwortung bei ihnen selbst liege. Auf dem Gipfel verständigten sich die EU-Staaten denn auch darauf, hoch verschuldeten osteuropäischen Nachbarländern mit einem Notfallfonds zu unterstützten. Er wurde von 25 auf 50 Milliarden Euro verdoppelt.
Merkel warnte davor, "nicht von Krise zu Krise zu eilen". Sie forderte nachhaltiges Wirtschaften. Das bedeute, "Prinzipien festzulegen, die verhindern, dass wir dauerhaft über unsere Verhältnisse leben und Ressourcen in Anspruch nehmen, die wir nicht regenerieren können".
Das befürwortete auch Angelica Schwall-Düren (SPD). Sie betonte, dass die Rolle des "starken und handlungsfähigen Staates" wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt sei. Gleichzeitig hob sie hervor, dass man jetzt "europäische Solidarität" brauche: "Denn wenn wir nicht gemeinsam dazu beitragen, dass unsere Volkswirtschaften die Krise überstehen, dann sind wir jeweils mitbetroffen", erklärte Schwall-Düren.
Die Opposition warf der Kanzlerin vor, lediglich Allgemeinplätze zu verbreiten. "Wo ist eigentlich der Text nach all den schönen Überschriften", fragte Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) provokant. Alle redeten vom "Green New Deal", nur Merkel nicht. Deutschland, bemängelte sie, sei in der Union "ein Bremser" - sowohl beim Konjunkturpaket als auch bei neuen Regeln für die Finanzmärkte. Auch Guido Westerwelle (FDP) warf der Kanzlerin vor, nicht konkret zu werden, weil es "in Ihrer Regierungskoalition mehr Streit als Einigkeit gibt". Deutschland brauche kein Konjunkturpaket, sondern ein Strukturpaket, das den Mittelstand fördere und niedrigere Steuern und Abgaben beinhalte. Lothar Bisky erklärte für die Linksfraktion: In der Krise mache Merkel vor allem eins - sie reise. Er forderte, Hedgefonds, Verbriefungen sowie Zweckgesellschaften zu verbieten und Steueroasen auszutrocknen.
Die Steueroasen hatten sowohl im Bundestag als auch auf dem Gipfel die Gemüter erhitzt. Ursache war eine Äußerung von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD). Er hatte Länder mit einem strengen Bankgeheimnis wie die Schweiz mit Indianern verglichen, die von der Kavallerie gezügelt werden müssten. "Herr Finanzminister, die Art und Weise des Umgangs mit unseren Nachbarländern ist eine schlichte, undiplomatische Unverschämtheit", ereiferte sich Westerwelle in der Debatte. Für den normalen Bürger sein weniger die Steueroasen als die Wüste drumherum das Problem. Joachim Poß (SPD) warf Westerwelle daraufhin Sympathie mit Steuersündern vor. Er lobte Angela Merkel, die sich ebenfalls uneingeschränkt gegen Steueroasen ausgesprochen hatte. Sie hatte gefordert, dass bei diesem Thema "Ross und Reiter" genannt werden müssten. Künast griff das Bild von den Oasen auf und bezeichnete Westerwelle als "Schutzheiligen der großen Kamele, die den anderen das Wasser wegsaufen".
Die 27 EU-Staaten einigten sich in Brüssel darauf, dass keines ihrer Mitglieder auf der "schwarzen Liste" der OECD stehen soll, die vorhandene Steuerschlupflöcher anprangert. Österreich, Belgien und Luxemburg hatten kürzlich beschlossen, ihr Bankgeheimnis zu lockern. Noch rechtzeitig, denn auf dem Weltfinanzgipfel am 2. April in London soll auch ein härteres Vorgehen gegen Staaten auf der "Steueroasen-Liste" beraten werden.