FRANKREICH
Das Parlament stimmt nach einer kontroversen Debatte der Rückkehr in die Nato zu
Nach einer Parlamentsdebatte und anschließender Vertrauensabstimmung am 17. März in der französischen Nationalversammlung ist der Weg frei für Frankreichs Rückkehr in alle Instanzen der Nato. Als Staatsoberhaupt und oberster Befehlshaber der französischen Streitkräfte hatte Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Entscheidung getroffen, bevor die Nationalversammlung konsultiert wurde. Die Abgeordneten konnten nur noch im Nachhinein Stellung nehmen.
Beim Nato-Gipfel in Straßburg und Kehl am 3. und 4. April will Frankreich wieder als Vollmitglied ohne Vorbehalte und Einschränkungen am atlantischen Bündnis teilhaben, aus dem General Charles de Gaulle 1966 ausgetreten war.
Die Distanzierung von der Nato war damals eine Vorbedingung, um die nationale Souveränität Frankreichs wiederzuerlangen. Damit verbunden war der Abzug der in Frankreich stationierten Truppen, die Schließung von 29 Militärbasen und die Verfügung über die eigene Atommacht, die "force de frappe", die Frankreich um keinen Preis mit den US-amerikanischen Schirmherren teilen wollte und auch heute nicht unter den Oberbefehl der Nato stellen wird. Andererseits stellte de Gaulle die in der Nato verbriefte Solidarität des Beistands im Fall eines Angriffs aber auch nie in Frage. Militärisch hat es das Bündnis daher nie ganz verlassen.
Frankreichs Premierminister François Fillon stellte in der Debatte vor dem Parlament deshalb auch klar, dass die vollständige Rückkehr in die Nato für ihn bloß eine "Berichtigung", eine Art "Normalisierung" und die letzte Etappe auf einem seit langem eingeschlagenen Weg zur Wiedereingliederung in das Bündnis ist. Denn sehr logisch sei es doch nicht, verteidigte Fillon die Entscheidung vor den Abgeordneten: Frankreich sei der viertgrößte Geber von Geld und Truppen und beteilige sich seit 1995 an allen militärischen Aktionen des Nordatlantikbündnisses. Zugleich sei es aber nicht in allen Ausschüssen vertreten, in denen die Operationen vorbereitet und ausgearbeitet würden. Der Nation hatte Präsident Sarkozy zuvor im Fernsehen mitgeteilt, es sei nicht seine Art, "vor der Türe" zu warten, bis andere eine Entscheidung fällen würden. Darüber hinaus wünsche er, dass Frankreich als Vollmitglied in der Nato für die Zukunft eine Teilung der Führungsverantwortung zwischen den USA und Europa durchsetze.
Vor den Abgeordneten war Regierungschef Fillon sichtlich bemüht, die Tragweite dieser Wende in der Außen- und Verteidigungspolitik zu verharmlosen. Er antwortete auf alle Einwände der Opposition: Nein, die Unabhängigkeit Frankreichs sei nicht gefährdet. "Wir behalten unsere vollständige Autonomie im Bereich der Strategie dank unserer nuklearen Abschreckungskraft." Nein, Frankreich werde sich auch nicht der amerikanischen Linie unterordnen. "Frankreich ist ein Alliierter, kein Vasall, treu, aber nicht folgsam, brüderlich, aber nicht unterwürfig." Nein, die europäische Verteidigung werde durch die Rückkehr in die Nato nicht verraten und verleugnet. "Frankreich nimmt seinen gesamten Platz in der Nato ein und gibt so dem ,Europa der Verteidigung' seine wahre Dimension."
Doch in der Nato-Frage steht für die Gegner der transatlantischen Wiederannäherung zu viel auf dem Spiel, als dass sie sich durch Fillons Zusicherungen überzeugen ließen. "Sie sagen uns, es bestehe keinerlei Risiko. Wir glauben das Gegenteil", entgegnete ihm Laurent Fabius als Hauptredner der oppositionellen Sozialisten. "Wir warnen, weil wir denken, dass wir wahrscheinlich weniger Unabhängigkeit und bestimmt weniger Einfluss haben werden." Der frühere Premierminister von Präsident Francois Mitterrand warf der Staatsführung vor, sie zerbreche ohne Notwendigkeit einen politischen Konsens, der über vier Jahrzehnte existiert habe "Statt die europäische Verteidigung zu stärken, wie Sie dies vorgeben, werden Sie sie töten", sagte Fabius.
Für den Zentrumsdemokraten und Ex-Präsidentschaftskandidaten François Bayrou ist die Nato-Rückkehr eine Reise ohne Rückfahrtkarte. "Frankreich, das war eine Botschaft: Der Widerstand gegen die Großmächte." Nun werfe Sarkozy das gaullistische Erbe "in die Nesseln".
Im Vorfeld der Parlamentsdebatte hatten auch drei frühere Premierminister ihre Bedenken angemeldet. Alain Juppé (UMP) fragte, was Frankreich beim Verzicht auf seine Sonderrolle zu gewinnen habe. Dominique de Villepin (UMP) krititisierte, Frankreichs außenpolitische Ambition werde "geschmälert" und seine Stimme in der Welt drohe, "banal" zu werden. Der Sozialist Lionel Jospin warnte vor einer zu weitgehenden Angliederung: "Wir können Freunde der Amerikaner bleiben, ohne uns unterzuordnen."
In Anbetracht der umstrittenen Kursänderung hatten manche Kritiker eine Volksbefragung für angebracht gehalten. Doch obwohl laut Umfragen zwischen 52 und 58 Prozent der Bürger in der Nato-Vollmitgliedschaft kein Problem sehen, wollte sich Sarkozy dem Risiko eines solchen Stimmungstests offenbar nicht auszusetzen.
Selbst die Abstimmung im Parlament musste der Regierung abgerungen werden. Fillon hatte ursprünglich eine Debatte ohne Votum in Aussicht gestellt. Aufgrund zahlreicher Nato-Skeptiker in der Regierungspartei UMP war nicht sicher, ob eine Mehrheit im Parlament zustande kommen würde. Daher griff Fillon zu einem Trick. Er ließ nicht über die Frage der Haltung zur Nato abstimmen, sondern stellte die Vertrauensfrage pauschal zur Außen- und Sicherheitspolitik. Als Fillon vor den Abgeordneten sagte, Präsident Sarkozy habe gewiss seine Meinung gefasst, aber die Nationalversammlung habe ja die Möglichkeit, die Regierung zu Fall zu bringen, brach in der linken Hälfte des Saals Protestgeheul aus.
Auch von den Abweichlern in der UMP, von denen sich immerhin zehn der Stimme enthielten und einer mit Nein votierte, wünschte niemand ernsthaft den Sturz des Kabinetts Fillon. Wie erwartet sprach die Regierungskoalition aus UMP und NC mit 329 gegen 238 Stimmen der Regierung das Vertrauen aus.