SPÄTABTREIBUNG
Experten und Politiker uneins über Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
Die Bemühungen um einen Kompromiss für eine bessere Beratung vor möglichen Spätabtreibungen gehen in die entscheidende Phase. Bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 16. März waren die zwölf Sachverständigen uneinig, ob für eine bessere Beratung eine Gesetzesänderung notwendig ist.
Grundlage der Diskussion waren drei Gesetzentwürfe und zwei Anträge (siehe Kasten rechts).
Als Spätabtreibung gilt eine Abtreibung zwischen der 13. Schwangerschaftswoche und der Geburt. Die Diskussionen im Bundestag konzentrieren sich im Wesentlichen auf Abtreibungen ab der 23. Woche, da diese Föten als lebensfähig gelten. 2008 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 231 Föten ab der 23. Woche abgetrieben. Spätabtreibungen sind nur zulässig, wenn der Arzt eine medizinische Indikation feststellt. Diese kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer zu erwartenden schweren Behinderung des Kindes eine ernsthafte Gefahr für die seelische Gesundheit der Mutter besteht. Die Abtreibung aufgrund einer medizinischen Indikation soll nach dem Willen der Abgeordneten weiter möglich bleiben. Erreicht werden soll eine Erweiterung des Beratungsangebots für die Schwangeren in dieser Konfliktsituation.
Ein Recht auf eine psychosoziale Beratung nach einer Pränataldiagnostik haben Schwangere schon heute. Doch obwohl einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge im Jahr 2006 85 Prozent der Schwangeren vorgeburtliche Untersuchungen in Anspruch nahmen, suchten nur 18 Prozent eine psychosoziale Beratung auf. Eine weitere Studie ergab, dass sich 90 Prozent der Eltern für einen Abbruch entschieden, wenn bei ihrem Kind das Down-Syndrom festgestellt wurde.
In der Anhörung sprach sich Professor Jeanne Nicklas-Faust, stellvertretender Vorsitzender der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, für eine Gesetzesänderung aus. Eine dreitägige Bedenkzeit sowie ein umfassenderes Beratungsangebot seien sinnvoll. Ergebe eine Pränataldiagnostik eine wahrscheinliche Behinderung des Kindes, fielen die Eltern "meist aus allen Wolken". Gespräche mit Beratungsstellen und Betroffenen könnten helfen, Paaren eine Perspektive für ein Leben mit einem behinderten Kind zu geben. Auch Professor Heribert Kentenich, Mitglied der Bundesärztekammer, plädierte für eine Drei-Tages-Frist. "Wir sind nicht die Halbgötter in Weiß", sagte Kentenich. Das Ansinnen, Beratungsstellen stärker einzubinden, sei sinnvoll. Er wandte sich aber entschieden gegen eine Pflicht, die Beratung zu dokumentieren und auf Verlangen einer Landesbehörde auszuhändigen. Das berge die Gefahr, dass der Arzt seine Schweigepflicht brechen müsse. Dadurch könne das Verhältnis von Patientin und Arzt erheblich gestört werden. Christiane Woopen, Leiterin der Forschungsstelle Ethik an der Universität Köln, betonte, eine gründliche Reflexion über alle Möglichkeiten der Entscheidung sei notwendig. Dafür brauche die Schwangere aber Zeit und Berater mit einer passenden Ausbildung.
Gegen eine Gesetzesänderung sprach sich unter anderem Sybill Schulz, Geschäftsführerin des Familienplanungszentrums "Balance" in Berlin, aus. "Eine Änderung wird die Zahlen der medizinischen Indikation nicht senken", war sie sich sicher. "Behinderte Menschen werden durch dieses Gesetz nicht geschützt", sagte Schulz. Eine bessere Aufklärung über Pränataldiagnostik und vor allem das Recht, nicht wissen zu müssen, ob das Kind behindert ist oder nicht, sei aber erforderlich. Dieses sei aber schon vor Untersuchungen möglich.
Professor Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie, befürchtete, mit den Gesetzentwürfen werde der Kompromiss von 1995, der die straffreie Abtreibung regelt, angegriffen. Christian Albring, Vorsitzender des Berufsverbands der Frauenärzte, nannte eine mögliche Gesetzesänderung "grotesk". Netzwerke von Medizinern und psychosozialen Beratern, wie sie mit den Gesetzesänderungen angestrebt werden, existierten zudem schon. Er kritisierte die Dokumentationspflicht und die Anhebung des Bußgeldes als "Kriminalisierung der Ärzte".
Die Initiatoren aller Gesetzentwürfe und Anträge sahen sich durch die Aussagen der Experten gestärkt. "Eine Regelung unterhalb des Gesetzgebungsverfahrens ist nicht ausreichend", sagte Johannes Singhammer (CSU). In den "entscheidenden Grundlinien" seines Gesetzentwurfs sehe er sich bestätigt. Über die Frage der Dokumentationspflicht des Arztes müsse aber noch beraten werden. Kerstin Griese (SPD) kündigte an, von der Dokumentationspflicht abzusehen. Sie war ursprünglich auch in ihrem Gesetzentwurf vorgesehen. Griese betonte, dass sie auschließlich die Ärzte in die Pflicht nehmen wolle, nicht die Frauen. Die Beratung solle ergebnisoffen sein.
Ina Lenke (FDP), Sprecherin des dritten Entwurfs, hob hervor, dass eine bloße Änderung der Mutterschafts-Richtlinien nur Versicherte der Gesetzlichen Krankenversicherung erreichen werde. Es bestehe zudem die Gefahr, dass ohne Bundesgesetz unterschiedliche Regeln in den Ländern beschlossen würden.
Christel Humme (SPD) widersprach diesen Ansichten. Für sie war eindeutig, dass "ein Großteil der Praktiker eine Gesetzesänderung ablehnen". In ihrem Antrag fordert sie eine Änderung der Mutterschafts-Richtlinien durch den Gemeinsamen Bundesausschuss, in dem Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen und der Ärzte sitzen. Ihr sei es wichtig, dass sich die Schwangeren schon vor den Untersuchungen beraten ließen, sagte Humme.
"Bessere Beratungsstrukturen vor und nach einer Pränataldiagnostik sind nötig", meinte Kirsten Tackmann (Die Linke), Initiatorin eines weiteren Antrags. Die in den Gesetzentwürfen vorgesehenen Änderungen würden aber in eine "Zwangsberatung" münden. Derzeit beraten Unterzeichner der verschiedenen Vorlagen über mögliche Zusammenschlüsse. Bisher hat keine Gruppe jedoch eine Mehrheit. Sandra Ketterer