FINANZEN
In der Debatte über die HRE-Verstaatlichung deutet die Koalition neue Krisengesetze an
Nur noch die Liberalen fanden dramatische Worte für den Tag, an dem der Bundestag mit dem Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz ( 16/12100, 16/12343) die Möglichkeit der Verstaatlichung von Finanzinstituten beschloss. Damit ist der Weg frei, um dem amerikanischen Investor J. Christopher Flowers seine Beteiligung von etwa einem Viertel an der vor dem Zusammenbruch stehenden Münchener HRE-Bank abzunehmen. "Heute ist ein Tag der Unfreiheit", empörte sich der FDP-Abgeordnete Rainer Brüderle in der Sitzung am 20. März. Die anderen Fraktionen arbeiteten sich an dem Thema eher geschäftsmäßig ab, möglicherweise auch in dem Wissen oder wenigstens in der Vorahnung, dass dies nicht die letzte Sitzung mit Beschlüssen zur Abfederung der Weltwirtschaftskrise gewesen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war gar nicht dabei, als der Bundestag nach Brüderles Worten den "Schutz des privaten Eigentums" torpedierte. Die Kanzlerin weilte in Brüssel beim EU-Gipfel, wo das Volumen des Krisenfonds zur Stützung von EU-Ländern, die dem Bankrott entgegengehen, schnell auf 50 Milliarden Euro verdoppelt wurde.
Es gehe doch darum, widersprach Hans-Ulrich Krüger (SPD) den besorgten Liberalen, "ordnungspolitisch in einwandfreier Art und Weise den Steuerzahler vor vermeidbaren Kosten zu bewahren". Jeder Unternehmer trage das Risiko für den Misserfolg. Dann sei das Betriebsvermögen weg "und in aller Regel auch der berühmte letzte Hosenknopf". Doch bei einer systemisch relevanten Bank dürfe es keine Insolvenz geben, sagte Krüger zur HRE, die erster Anwärter für die Umsetzung des Enteignungsgesetzes ist. Die Enteignung bleibe die letzte Möglichkeit (ultima ratio), und der Staat solle auch nicht dauerhaft den Banker spielen, sondern schnell wieder reprivatisieren.
Dagegen schimpfte Brüderle: "Sie haben einen Geist aus der Flasche gelassen, den Sie so schnell nicht wieder einfangen können." Es werde eine Grundachse verschoben und ein Tabu gebrochen. Ein Antrag der FDP ( 16/12318), das Kapital der HRE zu erhöhen statt zum Mittel der Enteignung zu greifen, wurde abgelehnt.
Der CDU-Abgeordnete Leo Dautzenberg erwartet von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) einen "Vorschlag zur Übernahme der Risikopapiere". Diese Risiken würden immer wieder neu im Abschreibungsbedarf der Banken entstehen und müssten daher den Banken abgenommen werden. Sonst würden Rekapitalisierungsmaßnahmen nichts bringen, weil immer wieder neues Kapital vernichtet würde.
Gregor Gysi (Linksfraktion) bezeichnete die FDP-Einwände als "ideologisches Geschwätz". Der Regierung warf er vor, Banken wie Industriebank und Commerzbank Milliarden gegeben zu haben. Es fließe aber kein oder nur wenig Geld an die Steuerzahler zurück. "Das nenne ich Untreue", sagte Gysi. Er lehnte es ab, enteignete Banken nach Stabilisierung sofort wieder zu reprivatisieren. Dies dürfe erst dann geschehen, wenn sämtliche Steuermittel einschließlich Zinsen wieder zurückfließen würden.
Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn nannte es richtig, die Enteignung als Drohkulisse aufzubauen. Das müsse völlig unideologisch gesehen werden. Nur wenn die HRE zu 100 Prozent beim Staat liege, würden die Refinanzierungskosten durch die gute Bonität des Staates gesenkt werden können. Dies könne einen Jahresbetrag zwischen einer und 1,5 Milliarden Euro ausmachen.
Der Gesetzentwurf, dem der Bundesrat am 3. April zustimmen soll, sieht die Verstaatlichung nur als ultima ratio vor. "Sie ist nachrangig gegenüber milderen Mitteln, kommt also nur in Betracht, wenn sie für die Sicherung der Finanzmarktstabilität erforderlich ist und andere rechtlich und wirtschaftlich zumutbare Lösungen nicht mehr zur Verfügung stehen, mit denen die Finanzmarktstabilität gleichermaßen, aber auf weniger einschneidende Weise gesichert werden kann", heißt es in dem Entwurf. In der Begründung wird darauf hingewiesen, dass im Zuge der Finanzmarktkrise und früherer Krisen Staaten wie Großbritannien und Schweden die Erfahrung gemacht hätten, dass es in Einzelfällen erforderlich sein könne, ein Unternehmen des Finanzsektors vollständig, aber nur zeitweise zu verstaatlichen. Die Möglichkeit, ein Enteignungsverfahren einzuleiten, ist zeitlich beschränkt und endet am 30. Juni 2009. Damit werde deutlich, dass die Option einer Verstaatlichung nicht auf Dauer zur Verfügung stehen solle, sondern nur zur Bewältigung der Finanzkrise zulässig sei. Außerdem sieht der Gesetzentwurf vor, dass staatliche Garantien von 36 auf bis zu 60 Monate verlängert werden können. Der Finanzausschuss hattte mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen jedoch einige Einschränkungen vorgenommen. So können die staatlichen Garantien bis zu fünf Jahren nur in begründeten Ausnahmefällen und nur für ein Drittel der einem Unternehmen gewährten Garantien bewilligt werden. Der ursprüngliche Regierungsplan sei zu weitgehend gewesen und hätte möglicherweise den Pfandbriefmarkt und den Markt für lang laufende Anleihen gefährdet, sagte Dautzenberg.
Klargestellt wurde von den Koalitionsfraktionen auch, dass sich die Entschädigung der Aktionäre bei einer Enteignung allein nach dem Börsenkurs bestimmt - eine Klarstellung gegenüber dem Marktwert. Eine Enteignung soll allerdings nur dann möglich sein, wenn zuvor eine Hauptversammlung stattgefunden hat und dort die für eine entsprechende Kapitalmaßnahme erforderliche Mehrheit nicht erreicht wurde. Außerdem wird die Regierung verpflichtet, Unternehmen unverzüglich wieder zu privatisieren, sobald sie nachhaltig stabilisiert worden sind.