AFGHANISTAN
Eine Mehrheit stimmt für den Bundeswehreinsatz - eine neue Debatte ist absehbar
Den Paukenschlag setzte Verteidungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erst gegen Ende der Debatte. Er überraschte den Bundestag am 3. Dezember mit einer neuen Einschätzung des umstrittenen Nato-Angriffs auf zwei Tanklastwagen am 4. September bei Kunduz. "Aus heutiger, objektiver Sicht" und "im Lichte aller Dokumente" halte er das Handeln der Streitkräfte für "militärisch nicht angemessen", erklärte er und korrigierte damit eine frühere Bewertung.
Thema der Debatte war der Regierungsantrag ( 17/39, 17/111 neu) zur weiteren Beteiligung der Bundeswehr am Isaf-Einsatz in Afghanistan, dem das Parlament mit breiter Mehrheit zustimmte: 446 Abgeordnete votierten für das Mandat, 105 dagegen. Es gab 43 Enthaltungen. Bis zu 4.500 Soldaten sollen ein weiteres Jahr ihren Beitrag dazu leisten, dass Afghanistan aus eigener Kraft für seine Sicherheit sorgen und die Taliban und die Terrororganisation Al-Quaida in Schach halten kann.
Freilich weiß niemand, ob das Thema Afghanistan nicht schon früher als gedacht wieder auf das Tisch kommt. US-Präsident Barack Obama kündigte am 1. Dezember eine massive Militäroffensive an. Anfang nächsten Jahres will er 30.000 zusätzliche US-Soldaten nach Afghanistan schicken. In einer Rede vor Kadetten der renommierten Militärakademie West Point im Bundesstaat New York) fasste der Präsident zugleich das Ende des US-Engagements ins Auge, und dies bereits im Sommer 2011, abhängig von der Sicherheitslage vor Ort. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen preschte vor: Amerikas europäische Verbündete würden mindesten 5.000 zusätzliche Soldaten entsenden, möglicherweise ein paar Tausend mehr, sagte Rasmussen.
Im Bundestag zog sich die Obama-Rede wie ein roter Faden durch die Debatte. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) trat jedoch auf die Bremse: Man werde sich Zeit nehmen, die ohne Zweifel "wichtige" Rede auszuwerten und mit den Verbündeten und dem deutschen Parlament zu besprechen. Die Londoner Afghanistan-Konferenz Ende Januar dürfe keine "Truppensteller-Konferenz" werden. Sie müsse Ziele und Konzepte benennen, denn es gehe "um eine gemeinsame Strategie". Der Außenminister fügte hinzu, die Regierung wolle "innerhalb dieser deutschen Legislaturperiode eine Abzugsperspektive" anstreben. Niemand im Bundestag wolle diesen Einsatz "für die Ewigkeit". Es könne, sagte Westerwelle, keine militärische Lösung geben, sondern nur eine politische mit militärischer Unterstützung. Deshalb müsse man mehr für den zivilen Aufbau in Afghanistan tun.
"Mangelnde Effizienz und grassierende Korruption", machte Hans-Ulrich Klose (SPD) unter anderem verantwortlich für die Situation in Afghanistan. Zudem seien die Umstände fragwürdig, unter denen Präsident Hamid Karzai wiedergewählt wurde. Klose machte deutlich, dass er über die Rede Obamas "nicht glücklich" sei. Der amerikanische Präsident schicke nur noch mehr Soldaten. Der Konflikt in Afghanistan sei allein mit militärischen Mitteln aber nicht zu lösen. Zudem hätten die Vorschläge Obamas vorher im Nato-Rat besprochen werden müssen, damit die USA und ihre Verbündeten sich auf eine gemeinsame Strategie hätten einigen können. Die Unterstützung großer Teile der SPD für den Afghanistan-Einsatz sicherte Klose dennoch zu: Man habe Afghanistan Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau zugesagt. Würde man aus dem Land abziehen, wären zudem "in sechs Wochen die Taliban wieder dran" und das Land würde wieder in die Hände von Terroristen fallen. In das gleiche Horn blies Andreas Schockenhoff (CDU): Der Unions-Fraktionsvize sagte, zu dem Mandat gebe es "keine vernünftige Alternative". Spätestens seit dem 11. September 2001 wisse man, dass die Sicherheit und die Stabilität Afghanistans mit der Sicherheit Deutschlands verbunden seien. Er könne aber jeden verstehen, dem das Mandat "Kopfschmerzen" bereite und der den deutschen Einsatz am Hindukusch "lieber heute als morgen beendet sehen will". Wenn die Mission von Uno und Nato, "die Frieden und Stabilität in eine kleines unterentwickeltes Land bringen soll", scheitere, stünde die atlantische Allianz "vor einem Scherbenhaufen". Dann könnten die Vereinten Nationen sich von der "Glaubwürdigkeit ihrer Friedensmissionen" verabschieden.
Für Die Linke bekräftigte Jan van Aken, seine Fraktion lehne es ab, "4.500 deutsche Soldaten in den Krieg zu schicken". In ihrem Antrag nenne die Bundesregierung die Sicherheit Deutschlands vor Terror als Gründe für das Engagement am Hindukusch. Dabei wüssten alle Militärs, "dass sich Terror nicht mit Krieg bekämpfen lässt". Besser sei ein Waffenstillstand in Afghanistan auf dem Weg zum Frieden, sagte van Aken.
Als "Blankoscheck" bezeichnete Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin das Ansinnen der Bundesregierung. Wenn man es ernst meine, die Afghanistan-Konferenz abzuwarten, dürfe man das Mandat höchstens um ein halbes Jahr verlängern. "Wir Grüne stehen zu unserer Verantwortung in Afghanistan", bekräftige Trittin. Es dürfe keinen Sofortabzug geben, wohl aber eine "konkrete Abzugsperspektive und eine Aufbauoffensive".
In namentlicher Abstimmung beschloss der Bundestag zudem, dass die Bundeswehr sich weiterhin an Anti-Terror-Einsätzen am Horn von Afrika und im Mittelmeer ( 17/38, 17/110) beteiligen solle. Hierfür gab es 322 Ja-Stimmen und 266 Nein-Stimmen.