GESUNDHEIT
Bei der »Schweinegrippe« ist der Scheitelpunkt möglicherweise erreicht
Als im Frühjahr die Nachrichten von den ersten Erkrankungen und Todesfällen in Mexiko um den Globus liefen, war die Aufregung groß. Inzwischen ist die Neue Influenza A (H1N1), landläufig besser als "Schweinegrippe" bekannt, längst in Deutschland angekommen und hat auch hier Menschenleben gefordert. Obwohl viele sich angesteckt haben oder in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis Menschen kennen, die sich mit dem Virus infiziert haben, scheint sich die Debatte etwas beruhigt zu haben, zumal seit der letzten Oktoberwoche auch die bundesweite Impfaktion läuft.
Für den Gesundheitsausschuss des Bundestages ist die Pandemie naturgemäß ein Dauerthema. Noch auf seiner letzten Sitzung der vergangenen Legislaturperiode am 26. August hatte sich das Gremium intensiv mit Ausbreitung und Bekämpfung der Krankheit befasst; am 2. Dezember war die Pandemie in der ersten Sitzung des Ausschusses nach seiner Konstituierung in der neuen Wahlperiode erneut einziger Diskussionspunkt.
Wie der Präsident des Robert-Koch-Institutes (RKI), Jörg Hacker, dabei berichtete, hat die Verbreitung der Schweinegrippe in Deutschland möglicherweise einen "Scheitelpunkt" erreicht. Lag die Zahl der in Deutschland registrierten Schweinegrippe-Fälle bei der August-Sitzung des Ausschusses noch bei rund 13.700, ist sie laut Hacker mittlerweile auf insgesamt 172.000 gemeldete Infektionsfälle gestiegen. Während es in der vorvergangenen Woche gut 23.000 Fälle gewesen seien, habe diese Zahl in der Woche davor noch bei 33.000 gelegen, erläuterte der Präsident des Robert-Koch-Instituts und zog daraus das Fazit, dass der "Gipfel des Geschehens" möglicherweise erreicht sei. Dafür spricht nach seinen Worten eventuell auch, dass zwar in 13 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine zunehmende Influenza-Aktivität zu verzeichnen sei, sie aber in 8 EU-Ländern abnehme.
Gleichwohl ist der Bundesregierung zufolge aber auch in den kommenden Wochen mit einem weiteren Anstieg der Infektionen sowie schwerer Krankheitsverläufe und Todesfälle zu rechnen; eine Einschätzung, die auch Hacker im Gesundheitsausschuss teilte.
Bis zum Nachmittag des 1. Dezember wurden dem RKI-Präsidenten zufolge in Deutschland insgesamt 66 Todesfälle gemeldet. Bei den meisten dieser Fälle seien Risikofaktoren wie Vorerkrankungen hinzugekommen, was die Wahrscheinlichkeit eines schweren Krankheitsverlaufs erhöht. Hacker bekräftigte, dass vor allem junge Menschen an der Neuen Influenza erkranken. In 85 Prozent der Todesfälle waren die Patienten laut Arbeitsgemeinschaft Influenza jünger als 60 Jahre.
Bei Todesfällen während einer Schweinegrippe-Erkrankung hat die akute Infektion nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft meist einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf. Dies gelte insbesondere bei Patienten mit chronischen Grundkrankheiten, "da hier Mechanismen zur Kompensation der Folgen einer Influenza-Erkrankung" wie etwa einer akuten Herz-Kreislauf-Belastung durch hohes Fieber "geringer verfügbar" seien, wie es im jüngsten Wochenbericht der Arbeitsgemeinschaft heißt. Die Patienten sterben demnach "in den allermeisten Fällen nicht an der Grundkrankheit, sondern den Folgen der Influenza-Erkrankung oder an deren Komplikationen".
Insgesamt wurden jedoch zumeist milde Krankheitsverläufe verzeichnet, wie Hacker im Ausschuss berichtete. Auch sei von Arztpraxen ein leichter Rückgang bei den Konsultationen wegen Atemwegserkrankungen gemeldet worden. Während dabei den Angaben zufolge etwa in Bayern der Gipfel bereits überschritten zu sein scheint, wird in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern noch eine Zunahme registriert.
Der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, Johannes Löwer, schloss in der Ausschusssitzung nicht aus, dass noch mit einer weiteren Welle zu rechnen sei. Löwer, bis Ende November Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass Pandemien auch in der Vergangenheit in mehreren Wellen abgelaufen seien.
Die Zahl der in Deutschland bislang erfolgten Impfungen gegen die Schweinegrippe bezifferte Löwer auf "grob geschätzt" etwa 2 Millionen Euro. Nebenwirkungen sind nach seinen Worten in insgesamt 660 Fällen gemeldet worden. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) sprach am 2. Dezember im Haushaltsausschuss sogar von geschätzten 2,5 bis 4 Millionen Menschen, die sich bereits gegen die Schweinegrippe hätten impfen lassen. Er machte zugleich deutlich, seine Aufgabe auch darin zu sehen, bei der Bevölkerung für die Akzeptanz der Impfung zu werben. (Siehe auch Seite 9)
Auch das Robert-Koch-Institut betonte am 3. Dezember, dass die Impfung nach wie vor wichtig sei, da "nach Erreichen des Scheitelpunkts einer Welle in der Regel mindestens noch einmal so viele Fälle auftreten wie vor Erreichen des Scheitelpunkts". Außerdem könne die weitere Entwicklung der Grippeaktivität im Winter nicht vorausgesehen werden. Zugleich teilte das Institut mit, dass "nach derzeitigem Stand eine einmalige Impfung in allen Altersgruppen ausreicht".
Für Löwer ist es für eine "Manöverkritik" der Maßnahmen gegen die Schweinegrippe noch zu früh. Einige Pluspunkte lassen sich freilich schon jetzt festhalten: So sei es innerhalb weniger Tage gelungen, ein Nachweissystem aufzubauen, resümierte RKI-Präsident Hacker im Gesundheitsausschuss. Und binnen eines halben Jahres habe man es geschafft, Impfstoffe gegen die Neue Influenza zu entwickeln, zuzulassen und zu produzieren.