SPORTWETTEN
Mafiöse Strukturen,
manipulierte Partien, gekaufte Spieler. Den deutschen Fußball erschüttert ein Betrugsskandal. Experten fordern nun eine Liberalisierung des Wettmarktes
Vor wenigen Wochen noch, wäre die Szene einfach nur ärgerlich gewesen: Das Spiel wird angepfiffen. Sofort wird der Ball auf die linke Seite gespielt, allerdings unerreichbar für den Mitspieler. Die Kugel rollt ins Aus. Es gibt Einwurf für den Gegner. Enttäuscht ob der Tatsache, dass einem Fußballprofi ein lächerlicher 20-Meter-Pass derartig misslingen kann, hätten sich die Zuschauer dem weiteren Spielgeschehen gewidmet. Heute, im Dezember 2009, ist alles anders. Heute stellt sich die Frage: Hat der Spieler den Ball mit Absicht ins Aus gespielt? Gelohnt haben könnte es sich für ihn und seine Wett-Kompagnons allemal. Bei vielen Internet-Wettanbietern kann nämlich genau darauf gewettet werden, wer in einem Spiel den ersten Einwurf erhält.
Seitdem die Staatswanwaltschaft Bochum gegen Fußballer ermittelt, die auf Druck von Wett-Paten Spiele manipuliert haben sollen, ist das Misstrauen groß, wuchern die Spekulationen. Fest steht: Den deutschen Fußball erschüttert derzeit ein Wettskandal ungeahnten Ausmaßes. "Das Vertrauen in den Sport steht auf dem Spiel", sagte daher auch der Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Rainer Koch, während einer Sitzung des Sportausschusses am 2. Dezember zum Thema "Sportwettenbetrug im Fußball". Koch war dazu ebenso geladen wie Vertreter des Weltfußballverbandes Fifa und der Anti-Korruptionsorganisation Tranparency International. Sie alle erhoben gegenüber den Sportpolitikern des Bundestages eine gemeinsame Forderung: Der Markt für Sportwetten in Deutschland muss liberalisiert werden.
Derzeit agiert als Folge des seit Anfang 2008 geltenden Glücksspielstaatsvertrages der staatliche Wettanbieter Oddset als Monopolist auf dem Sportwettenmarkt. Private Wettanbieter sind im Grunde nicht zugelassen. Dennoch wird fleißig bei Online-Buchmachern gesetzt, nicht zuletzt auch deshalb, weil das Angebot von Oddset als antiquiert gilt, die Quoten zudem als zu wenig lukrativ. Und in der Tat: Während bei Oddset nur auf Spiele der 1. und der 2. Fußball-Bundesliga gesetzt werden kann, ist dies bei vielen Privaten auch in den unteren Ligen möglich. Gar kein Angebot macht Oddset im Bereich der Live-Wetten.
Dabei sind diese Wetten, die während des laufenden Spiels abgegeben werden können, "ein Problem, aber gleichzeitig auch die Realität", sagte Wolfgang Feldner, der für die Fifa ein Frühwarnsystem gegen Wettbetrug entwickelt hat. Live-Wetten mit zu strikten Verboten zu belegen, würde zu weiterer Intransparenz führen, warnte er. Daher müssten "international durchsetzbare Mindeststandards geschaffen werden". Wer verhindern will, dass der mit Schutzsystemen nicht kontrollierbare Schwarzmarkt zunimmt, müsse für einen "regulierten und zugleich ansprechenden Markt" sorgen.
DFB-Vize Koch verwies auf die "mafiösen Strukturen", die es auf dem internationalen Wettmarkt gebe. Zwar habe der DFB aus dem Betrugsskandal im Jahr 2005 um den ehemaligen Bundesliga-Schiedsrichter Robert Hoyzer seine Lehren gezogen und sei im europaweiten Vergleich in Sachen Betrugsbekämpfung "am besten aufgestellt". Doch reiche dies allein nicht aus, da lediglich legale Märkte überwacht werden könnten. Daher sei es sinnvoll, durch Liberalisierung "attraktive kontrollierbare Wettmärkte" zu schaffen. "Dann wird vielleicht nicht mehr in Asien auf den ersten Einwurf in einem deutschen Drittligaspiel gewettet", hofft Koch. Den Weg über Wettverbote schloss er aus. "Wettverbote greifen nicht", sagte Koch. Die Alkohol-Prohibition in den USA habe gezeigt, dass ein Markt durch strikte Verbote lediglich in die Illegalität abgedrängt werde.
Auch aus Sicht von Transparency International ist das Monopol-System "nicht das Optimale". Stattdessen sollte offen über eine Lizensierung mehrere Anbieter diskutiert werden, forderte Sylvia Schenk. Die Deutschland-Vorsitzende der Organisation wandte sich zugleich gegen den Ruf nach neuen Strafgesetzen. Dies lenke nur von dringend benötigten und zeitnah umzusetzenden Maßnahmen ab. Dazu zähle auch die Übernahme von Antikorruptionsmaßnahmen aus der Wirtschaft, wie etwa dem "Compliance-System". "Wenn Wettbetrüger erkennen, welche Spieler für Bestechung anfällig sind, muss das für Vertreter der Vereine erst recht möglich sein", sagte Schenk.
Bei den Abgeordneten traf der Wunsch nach einer Liberalisierung des Wettmarktes auf wenig Gegenliebe. Er habe kein Verständnis dafür, sagte Klaus Riegert (CDU) und warnte, eine Liberalisierung könne den deutschen Wettmarkt für illegale Transaktionen öffnen. Riegert erteilte dem "schnellen Ruf nach neuen Gesetzen" eine Absage. Erst müssten die Ermittlungsverfahren abgewartet und analysiert werden.
Gegen eine Liberalisierung wandte sich auch die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag (SPD): "Ich kann nicht sehen, dass das zu einer Entspannung der derzeitigen Situation beitragen würde." Vor zu schnellen Schlussfolgerungen warnte Joachim Günther (FDP) und stellte fest: "Die Ermittlungen stehen erst am Anfang".
Katrin Kunert (Die Linke) verwies auf die Liberalisierung des Finanzmarktes. Zu einer besseren Kontrolle habe dies nicht geführt. Bedenken gegen eine Marktöffnung für private Wettanbieter äußerte auch Viola von Cramon (Grüne). Schließlich sei die Korruptionsanfälligkeit dort größer als bei staatlichen Anbietern.