KLIMAKONFERENZ
Über die Ziele eines Abkommens herrscht weitgehend Einigkeit. Doch der Weg dorthin ist umstritten
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bekam am 4. Dezember ungewöhnlichen Besuch: Ein fünf Meter großer Nikolaus mit einer Rute in der Hand, überbrachte ihr einen Wunschzettel. Darauf: Forderungen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) für den bevorstehenden Klimagipfel in Kopenhagen. Am selben Tag tagte einige tausend Kilometer entfernt am Fuße des Mount Everest das Kabinett von Nepal, um auf die Folgen der Erderwärmung im Himalaya aufmerksam zu machen. Zwei von unzähligen Aktionen weltweit, die kurz vor Beginn der 15. Weltklimakonferenz ein Ziel haben: Die Verhandlungsführer in Kopenhagen davon zu überzeugen, mehr als politische Absichtserklärungen, nämlich ein verbindliches Klimaabkommen zu verabschieden. Über 100 Staats- und Regierungschefs haben sich dafür angesagt, was zeigt, dass in der dänischen Hauptstadt bis zum 18. Dezember äußerst schwierige internationale Verhandlungen geführt werden.
Noch nicht einmal zwanzig Jahre ist es her, dass das Problem der zunehmenden Erderwärmung auf die internationale Tagesordnung gerückt ist. In Rio wurde 1992 die Klimarahmenkonvention beschlossen. In dem inzwischen von 192 Staaten ratifizierten Abkommen verpflichten sich die Vertragsparteien, einen "gefährlichen Klimawandel" zu verhindern. Dem ist die Welt allerdings inwischen bedrohlich nahe gekommen, warnen internationale Wissenschaftler eindringlich. Gelingt es der Welt nicht, den Höhepunkt globaler Treibhausgasemissionen 2015 zu erreichen, wird es schwer, das von Kanzlerin Angela Merkel vertretene Ziel zu erreichen. Sie setzt sich dafür ein, die globale Erwärmung auf zwei Grad über dem Vorindustrialisierungsniveau zu halten. Der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans-Joachim Schellnhuber, sagt: "Jedes Jahr, das wir verlieren, verzeiht uns die Atmosphäre nicht." Würde der Höhepunkt der Emissionen tatsächlich 2015 erreicht, müssten sie danach jährlich um rund fünf Prozent sinken. Würde der Gipfel aber erst 2020 erreicht, wären es schon jährlich neun Prozent Emissionsminderung, die notwendig wären, um mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Schellnhuber sagt, eine solche Reduktion von Treibhausgasen sei "eigentlich nur im Rahmen einer Kriegswirtschaft" zu erreichen. Das weltweite Emissionsbudget bis 2050 liegt nach Berechnungen des PIK bei etwa 750 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Würden diese Emissionen "gerecht" pro Kopf verteilt, müsste Deutschland in spätestens zehn Jahren "Kohlenstoffinsolvenz" anmelden. In Kopenhagen steht also viel auf dem Spiel.
Diese Dramatik der Lage spiegelt sich allerdings nicht im bisherigen Verhandlungsverlauf seit dem Weltklimagipfel auf Bali 2007 wieder, der das Verhandlungsmandat für einen Kopenhagen-Vertrag erteilt hat. Im Gegenteil. Selbst bei der letzten Verhandlungsrunde vor dem Gipfel vor ein paar Wochen in Barcelona bewegte sich nahezu nichts. Der Vertragstext besteht noch immer aus hunderten eckiger Klammern, die ungelöste Probleme enthalten. Im Wesentlichen geht es um fünf Kernelemente eines Klimaabkommens: verbindliche Emissionsminderungen der Industriestaaten, verbindliche Minderungen des Emissionswachstums der Entwicklungsländer, verbindliche Finanzzusagen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel einschließlich Technologietransfers, verbindliche Überwachungssysteme, um all diese Verpflichtungen zu überprüfen und zusätzlich ein Abkommen über den Schutz der tropischen Regenwälder, deren Abholzung allein derzeit zu etwa 20 Prozent zum Treibhauseffekt beiträgt.
Am weitesten fortgeschritten ist derzeit das Waldabkommen REDD (Reducing Emissions from Deforestation). Zumindest gibt es große Einigkeit darüber, dass ein solches Abkommen, das Staaten dafür belohnt, wenn sie ihre Wälder stehen lassen, dringend notwendig ist. Der umweltpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Michael Kauch, weist darauf hin, dass die Kosten vermiedener Kohlendioxid-Emissionen beim Waldschutz "niedriger liegen, als vieles, was wir hier so treiben".
Allerdings wird noch darüber gestritten, ob die Mittel dafür über den Kohlenstoffmarkt, einem Markt für Verschmutzungsrechte, erwirtschaftet werden sollen - also die Wälder in den Emissionshandel, mit dem Verschmutzungsrechte gehandelt werden, einbezogen werden. Das lehnen vor allem Umweltverbände, aber auch der Bundesumweltminister ab. Sie fürchten, dass die Preise für Kohlendioxid-Zertifikate so dramatisch senken würde, dass es keinerlei wirtschaftlichen Anreiz mehr gäbe, in den kohlenstoffarmen Umbau der Industriestaaten zu investieren. Deshalb verfolgen Staaten wie beispielsweise Norwegen das Ziel, ein Waldabkommen unabhängig vom Emissionshandel auszuhandeln. Das schwierigste Thema sind die Emissionsminderungen sowohl der Industriestaaten als auch der Entwicklungsländer. Der Weltklimarat (IPCC) hat in seinem Bericht 2007 vorgeschlagen, dass die Industriestaaten ihre Emissionen bis 2020 um 25 bis 40 Prozent unter das Niveau von 1990 senken sollten, bis 2050 um 80 Prozent. Die Entwicklungsländer sollten ihre Emissionen bis 2020 um 15 bis 30 Prozent unter das Niveau drücken, das sie ohne Klimaschutzanstrengungen bis dahin erreichen würden, sie sollen also das Wachstum ihres Treibhausgasausstoßes begrenzen. Die Europäische Union hat mit ihrem Angebot, ohne weitere Vorleistungen 20 Prozent ihrer Emissionen bis 2020 zu reduzieren, schon auf Bali ein Angebot vorgelegt, das dieser wissenschaftlichen Vorgabe nicht entspricht. Mit dem Angebot die Emissionen um 30 Prozent zu mindern, wenn andere Staaten mitziehen, läge die EU im Mittelfeld des Notwendigen. Auf Antrag der Regierungsfraktionen hat der Deutsche Bundestag am Donnerstag entschieden, die Treibhausgase in Deutschland um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken - auch ohne, dass andere Industriestaaten ähnliches anbieten. Der CDU-Umweltexperte Andreas Jung ist stolz darauf, dass Deutschland mit diesem Angebot vorangeht, um den Verhandlungen in Kopenhagen einen Schubs in die richtige Richtung zu geben. Sein Kollege von der SPD, Frank Schwabe, fordert nun von der Europäischen Union das gleiche, nämlich mit einem Angebot minus 30 Prozent bis 2020 in die Verhandlungen zu gehen. Bei anderen Industrieländern hat sich noch nicht viel bewegt.
Zwar hat Japans neuer Ministerpräsident Yukio Hatoyama das Angebot seines Landes auf minus 25 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 nachgebessert, seine Vorgängerregierung hatte deutlich weniger geplant. Doch Japan ist derzeit noch weit davon entfernt, auch nur seine Klimaverpflichtungen nach dem Kioto-Protokoll zu erfüllen.
Die USA haben erstmals überhaupt ein Angebot auf den Tisch gelegt. US-Präsident Barack Obama verspricht, die amerikanischen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 17 Prozent unter das Niveau von 2005 zu drücken. Das entspricht in etwa minus vier Prozent bezogen auf 1990 und dem, was das Repräsentantenhaus bereits in einem US-Klimagesetz beschlossen hat. Allerdings diskutiert der Senat derzeit noch einen eigenen Klimagesetzentwurf, und es ist völlig offen, ob die Demokraten im Senat die dafür notwendige Mehrheit bekommen werden. Genauso offen ist, ob der Senat einen internationalen multilateralen Klimavertrag mit verpflichtenden Emissionsminderungen passieren lassen würde. Die Chancen stehen allerdings nicht besonders gut, weshalb die Regierung Obama sich bemüht, international guten Willen zu zeigen, aber nicht mehr zu versprechen, als sie auch halten kann. Der frühere Umweltminister und heutige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel brachte diese Verhandlungsposition auf die griffige Formel: "Ein großer Schritt für die USA, aber ein kleiner für die Menschheit."
Das sehen die Schwellenländer genauso. Für sie ist das amerikanische Angebot viel zu gering. Dennoch haben sich nach der Ankündigung Obamas sowohl China als auch Indien erstmals zu Emissionsminderungen bereit erklärt. China bietet an, bis 2020 die Treibhausgasintensität seines Wirtschaftswachstums um 40 bis 45 Prozent zu vermindern. Pro erzeugtem Yuan Wirtschaftsleistung fielen dann bis zu 45 Prozent weniger Treibhausgase an als 2005. Das bremst allerdings lediglich das Emissionswachstum und mindert den Treibhausgasausstoß zunächst noch nicht. Indien hat am 3. Dezember angeboten, die Emissionen nach dem gleichen Muster um 20 bis 25 Prozent zu senken. Das ist einerseits bemerkenswert, weil Indien sich bisher strikt geweigert hat, irgendwelche Zahlen zu nennen. Andererseits hat Indiens Umweltminister Jairam Ramesh vor dem Parlament in Neu-Delhi auch klargestellt, dass sich sein Land nicht verbindlich auf dieses Ziel festzulegen bereit ist. Nicht minder konfliktreich verläuft die Diskussion über das Geld. Die Entwicklungsländer wollen zwischen 0,5 und einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Industrieländer für den Umbau ihrer Ökonomien und die Anpassung an den Klimawandel. Die afrikanischen Staaten sprechen sogar von Kompensation für entgangene Entwicklungschancen, weil sie den Weg der Industriestaaten nicht mehr gehen können, ohne die Erde an den Rand ihrer Bewohnbarkeit zu bringen.
Für die Entwicklungsländer ist es keine Frage, dass diese Mittel zusätzlich zu den schon seit Jahrzehnten zugesagten 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts BIP für die Entwicklungszusammenarbeit fließen müssen. Für die Industrieländer ist das keineswegs so klar. Streit gibt es zudem darüber, wer die Mittel verwalten soll. Die Industrieländer würden sie am liebsten bei der Weltbank ansiedeln, die Entwicklungsländer verlangen dagegen einen eigenen Fonds unter dem Dach der UN.
Für Eva Bulling-Schröter (Linke), die neue Vorsitzende des Umweltausschusses, ist klar, dass die Kanzlerin sich bei den Finanzfragen in Brüssel "verzockt" habe. Sie habe sich dagegen gestellt, dass die EU konkrete Finanzzusagen an die Entwicklungsländer macht. "Kein Wunder, dass diese Länder nun ebenfalls auf stur stellen", findet Bulling-Schröter. Hermann Ott, klimapolitischer Sprecher der Grünen, sieht das ähnlich. Er findet diese Strategie "tödlich für die Verhandlungen in Kopenhagen". Die kontroverse Debatte im Bundestag ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was die Teilnehmer in Kopenhagen erwartet. Der Nikolaus jedenfalls hätte dort viele Wünsche zu erfüllen.