WACHSTUMSBESCHLEUNIGUNGSGESETZ
Opposition: Entlastungen nur für Reiche
SDas Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat seine erste große Hürde genommen, und entsprechend froh waren am 4. Dezember nach der Abstimmung im Bundestag die Vertreter der Koalitionsparteien. So sagte der finanzpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Leo Dautzenberg (CDU): "Das ist ein wichtiger Impuls für die Generierung von Wachstum." Und der FDP-Finanzpolitiker Carl-Ludwig Thiele erklärte, das Gesetz sei ein Beweis für die Entschlossenheit der Koalition, die Probleme des Landes zu lösen. Der Bundestag hatte zuvor den von den Fraktionen von CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums ( 17/15, 17/138) in namentlicher Abstimmung mit 322 gegen 246 Stimmen angenommen. Die Oppositionsfraktionen hatten das Gesetz, das Familien und Unternehmen ab 1. Januar 2010 um rund 8,5 Milliarden Euro pro Jahr entlasten soll, abgelehnt.
Die letzte Hürde muss das Wachstumsbeschleunigungsgesetz am 18. Dezember im Bundesrat nehmen. Da sich einige CDU-regierte Länder kritisch zu den mit dem Gesetz verbundenen Steuerausfällen geäußert hatten, wird mit spannenden Beratungen im Bundesrat gerechnet.
Im Bundestag verteidigte der Unionsabgeordnete Hans Michelbach die Maßnahmen der Koalition zur Unternehmenssteuerreform. Die Union habe versprochen, den "steuerpolitischen Irrweg" der SPD mit einer Besteuerung von Unternehmenssubstanz zu beenden, "und dieses Versprechen lösen wir gemeinsam ein", sagte er. Wesentliche Wachstumsbremsen würden gelöst. Der CSU-Politiker wies vor allem auf die steuerlichen Maßnahmen hin, die besonders dem Mittelstand zugute kommen würden: "Wir wollen nicht, dass zu den Großen der Bundesadler kommt und zu den Kleinen der Pleitegeier."
Thiele verwies darauf, dass Entlastungsmaßnahmen Wachstum bringen würden, das wiederum zu höheren Einnahmen führe: "Nur ein stabiler und dynamischer Aufschwung führt wieder zu höheren Einnahmen für die öffentlichen Haushalte." Bei der Erbschaftsteuer werde etwas für die Familien getan. Geschwister seien im Erbschaftsfall wie Fremde behandelt worden. "Das entspricht nicht unserem Gesellschaftsbild und wird korrigiert", sagte Thiele.
Die SPD-Fraktion verwies auf die zu dem Gesetzentwurf erfolgte Anhörung: "Alle Sachverständigen haben deutlich gemacht: so gut wie keine Wachstumsimpulse und auch keine soziale Ausgewogenheit", erklärte die finanzpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Nicolette Kressl. Es handele sich um ein Wachstumsverhinderungsgesetz, weil Länder und Kommunen wegen der Steuerausfälle weniger investieren könnten. Kressl warf der Koalition "Klientelpolitik" vor, weil Spitzenverdiener durch die Erhöhung des Kinderfreibetrages "fast doppelt so viel Entlastung haben wie die, die vom Kindergeld profitieren". Da sei ein Unding, vor allem, weil der große Erhöhungsschritt beim Kinderfreibetrag verfassungspolitisch nicht geboten sei. Insgesamt habe die Koalition "die Chance verspielt, etwas Gutes für Deutschland zu tun".
Gregor Gysi, Chef der Linksfraktion, konnte nur "Wachstum für Reiche" durch das Gesetz erkennen. Sozial sei das Gesetz auch nicht. Die Änderungen bei der Erbschaftsteuer würden Leute mit über 50 Millionen Euro Vermögen begünstigen. "Was soll daran sozial sein?", fragte Gysi. Für Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) stand fest, dass es sich nicht um ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz, sondern um ein "Schuldenbeschleunigungsgesetz" handele. Statt Städte und Gemeinden zu stärken, damit sie mehr investieren könnten, würden sie geschwächt. 1,8 Millionen Kinder, deren Familien Leistungen nach Hartz IV bezögen, hätten nichts von der Erhöhung des Kindergeldes, weil der Erhöhungsbetrag auf die Sozialleistung angerechnet werde. Dies hatte auch Gysi kritisiert: "Die bekommen nicht einen Cent für ihre Kinder mehr."
Dagegen verteidigte die Unionsfraktion die Erhöhung des Kinderfreibetrages. Der Freibetrag "ist kein Zuschuss vom Staat, sondern er dient dazu, zu viel gezahlte Steuern zurückzuerstatten", sagte der Unions-Abgeordnete Olav Gutting (CDU). Familien würden mit dem Kinderfreibetrag genau den Betrag zurückerstattet bekommen, den sie zuvor zu viel als Steuern bezahlt hätten. Da Familien unterschiedlich hohe Einkommen hätten, würden auch unterschiedlich hohe Erstattungen vorgenommen. "Das ist die logische Folge der Steuerprogression", erläuterte Gutting. Auch Dautzenberg hatte auf diesen Sachverhalt hingewiesen und die SPD aufgefordert, einen Grundfreibetrag für Kinder zu beantragen, wenn sie alle gleich behandeln wolle. Davon habe er jedoch bei der SPD noch nicht vernommen.
Bündnis 90/Die Grünen hatten in einem Antrag ( 17/16) gefordert, auf die in dem Gesetzentwurf zur Stärkung des Tourismus gedachte Senkung der Mehrwertsteuer für Beherbergungsleistungen von 19 auf 7 Prozent zu verzichten. Statt dessen sollten die Regelsätze für 1,8 Millionen Kinder aus Bedarfsgemeinschaften nach dem Zweiten und Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs angehoben werden. Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen wurde der Antrag ebenso abgelehnt wie ein ähnlicher, kurzfristig eingereichter Änderungsantrag ( 17/158). Auch die in einem Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen erhobene Forderung, die Kindergelderhöhung nicht auf Leistungen nach Hartz IV anzurechnen ( 17/159), wurde von Union und FDP abgelehnt.
Einen ähnlichen Antrag ( 17/155) hatte auch die Linksfraktion gestellt. Er wurde ebenso abgelehnt wie ein Änderungsantrag der Fraktion zur besseren Behandlung von Lebenspartnerschaften ( 17/154) im Erbschaftsteuerrecht. Auch Bündnis 90/Die Grünen hatten vergeblich gefordert, dass Lebenspartner im Erbschaftsteuerrecht nicht mehr wie Fremde behandelt würden ( 17/149). Gleichgeschlechtliche Lebenspartner würden in gleicher Weise Verantwortung und Pflichten übernehmen wie Eheleute. Daher sei es angemessen, sie im Erbschaftsteuerfall auch wie Eheleute zu behandeln.
Die SPD hatte beantragt, die Förderung der Alterszeit durch die Bundesagentur für Arbeit um fünf Jahre bis Ende Dezember 2014 zu verlängern ( 17/148). Es sei ein überproportional hoher Anstieg von älteren und auch jungen Menschen in Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Deshalb müsse mit gezielten beschäftigungspolitischen Maßnahmen abgeholfen werden. Auch dieser Antrag wurde abgelehnt.