Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Geschichtswissenschaft sich Themen annehmen und Ergebnisse vorlegen darf, auch wenn sie nicht opportun sind. Mochte es in der Anfangsphase der deutsch-französischen Aussöhnung noch verständlich erscheinen, wenn heikle Fragen bis zu einem gewissen Grade tabuisiert wurden, so gibt es seit vielen Jahren diese selbst auferlegte "Zensur" nicht mehr. Dies gilt gerade für die französische Besatzungspolitik im deutschen Südwesten nach 1945. Sie wurde besonders intensiv erforscht und hat eine lebhafte Kontroverse hervorgerufen. Der ursprünglich vorherrschenden Sicht der "düsteren Franzosenzeit" wird, gestützt auf neu zugänglich gemachte Archivbestände, eine differenziertere Interpretation gegenübergestellt, die auf positive Elemente dieser Besatzungspolitik verweist.
Vor dem Hintergrund dieser Forschungskontroverse nimmt man erwartungsvoll das Buch von Volker Koop zur Hand. Wer sich freilich neue Erkenntnisse oder Argumente erhofft, wird gründlich enttäuscht. Da der Autor die vorliegende umfangreiche Literatur ignoriert, fällt er hinter den Forschungsstand deutlich zurück. Sein Vorhaben, das Leben in der französischen Besatzungszone "aus deutscher Sicht" darzustellen, ist insofern problematisch, als dadurch der im Untertitel formulierte Anspruch allenfalls höchst einseitig eingelöst werden kann. Hinzu kommt, dass die auf die "deutsche Sicht" beschränkte Darstellung ebenso einseitig ausfällt. Gewiss sollen die Härten und Übergriffe, Plünderungen und Vergewaltigungen, die wirtschaftliche Ausbeutung, die Beschlagnahmungen und Demütigungen nicht verschwiegen werden, aber der Historiker muss auch nach den Ursachen fragen - was nicht mit Entschuldigen gleichzusetzen ist.
Die wenigen und dürftigen Seiten zur deutschen Besatzung Frankreichs von 1940 bis 1944 reichen nicht aus, um etwa die französischen Requisitionen und Demontagen, die breit geschildert werden, zu verstehen. Anders als die USA oder Großbritannien, deren Zonen mit ihren vergleichsweise guten Zuständen der französischen immer wieder gegenübergestellt werden, hatte Frankreich von allen besetzten Ländern den höchsten Beitrag zur deutschen Kriegswirtschaft leisten müssen. Erhebliche Teile der Industrie und Infrastruktur waren zerstört. Berücksichtigt man dies, so wird man Verständnis dafür aufbringen können, dass für Frankreich der wirtschaftliche Wiederaufbau Vorrang hatte und dass der besiegte Feind dazu soviel wie möglich beitragen musste. Ähnliches gilt für die zweifellos sehr schwierige Ernährungslage: Die Kriegsfolgen und eine Erntekrise 1946 führten in Frankreich zu einem ähnlichen Mangel wie in Deutschland. Wenn ihn die Deutschen stärker verspürten, so lag es auch daran, dass es ihnen während des Krieges im Vergleich zu den Menschen in den ausgebeuteten Ländern noch relativ gut ging. Und wie konnte man erwarten, dass die französischen Besatzer die besiegten Deutschen mit Samthandschuhen anfassen würden nach den von SS und Gestapo in Frankreich begangenen Brutalitäten?
Schließlich übergeht Koop völlig, dass es neben den dunklen Seiten der Besatzungspolitik auch positive Aspekte gegeben hat, vor allem in der Kultur- und Sozialpolitik, und auch schon frühe Ansätze einer neuen gegenseitigen Verständigung. Die wichtige Frage, warum die konstruktiven Ansätze der französischen Besatzungspolitik im Gedächtnis der Menschen hinter den Härten so völlig verschwanden, warum die "Franzosenzeit" als so "düster" empfunden wurde, stellt der Autor nicht; er kann sie nicht stellen, da er selbst ein ebenso negatives Bild zeichnet.
Koops Buch ist einseitig, lückenhaft, in der Analyse unzulänglich und es enthält eine Reihe kaum nachvollziehbarer Urteile - so sei zwischen 1945 und 1956 "das Saarland stärker von Frankreich geprägt worden als es die DDR jemals durch die Sowjetunion gewesen war". Trotz mancher aus den Regionalarchiven und der Lokalgeschichte gewonnener zusätzlicher Aspekte liegt mit diesem Buch kein die Debatte über die französische Besatzungspolitik weiterführender Beitrag vor.
Volker Koop: Besetzt. Französische Besatzungspolitik in Deutschland. bebra Verlag, Berlin 2005; 352 S., 24,90 Euro