Was daran wohl spannend sein soll, wenn 22 erwachsene Menschen hinter einem Ball herlaufen? Diese Frage hört man so oft, wie Sepp Herbergers Aussprüche über die Dauer eines Fußballspiels oder die Form des Balls. "Das ist ein weites Feld", könnte man mit Fontane antworten - und schon ist man mitten drin. Denn Fußball ist mehr als Taktik, Tricks und Tore. Fußball ist auch ein Spiegel seiner Zeit und der Menschen, die sich in ihr bewegen, ob auf der Straße, im Stadion oder im Blick der Medien.
Anlässlich der bevorstehenden Fußball-Weltmeisterschaft hat das "Zentrum deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg e.V." den Fußball ins Museum gebracht. "Für uns war es reizvoll, den Fahrtwind der WM zu nutzen, um Themen, die wir gerade für eine wissenschaftliche Fachpublikation bearbeitet hatten, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen", erläutert der Vereinsvorsitzende René Wiese die Motivation der Mitglieder, das Projekt in ehrenamtlicher Arbeit auf die Beine zu stellen. Erzählt werden Geschichten, die sich im geteilten Deutschland zwischen Kriegsende und Wiedervereinigung rund um den Fußball drehen. Als Austragungsort dieser Rückschau wurde treffenderweise eine ehemalige Turnhalle am Prenzlauer Berg gewählt, die heute dem Museumsverbund Pankow als Ausstellungsraum dient.
Wer als Besucher dieses Spielfeld betritt, spürt bald die inspirierende Kraft, die König Fußball auf die Ausstellungsmacher ausgeübt hat. "Anpfiff in Ruinen", "Seitenwechsel" oder "Kalter Krieg in kurzen Hosen" lauten die Überschriften zu den Inhalten, denen sich die Ausstellung in Text, Bild, Ton und Film widmet. Die Dokumentation vermittelt unter anderem einen Eindruck davon, was passierte, wenn internationale Fußball-Begegnungen Ost- und West-Deutschland zusammenführten. Und das war nicht nur bei den Weltmeisterschaften 1954 und 1974 der Fall, sondern vor allem in den europäischen Vereinswettbewerben. Ähnlich interessant, wie die seltenen deutsch-deutschen Begegnungen, waren dabei Auslosungen, die westdeutsche Mannschaften in die Länder des Ostblocks führten. Dann reisten auch tausende DDR-Bürger in ihre Bruderländer und machten die Stadien zu Orten deutsch-deutscher Kontaktpflege. Die Stasi reis- te natürlich immer mit.
"Was mich an dem Themenkreis besonders fasziniert hat, war zu sehen, wie das gemeinsame Interesse am Fußball die Menschen dazu bewegt hat, sich über Landesgrenzen und Systemzwänge hinwegzusetzen", erläutert René Wiese den Fokus der Ausstellungsmacher. Denn es sind menschliche Schicksale, die im Zentrum der Ausstellung stehen. An ihren Lebenslinien werden Eckdaten der Geschichte aufgezeigt. So werden unter dem Titel "Berliner Kosmos" Biografien von "Fußballgrenzgängern" vorgestellt, die bis zum Mauerbau 1961 im Ostteil der Stadt wohnten und im Westteil der Stadt für ihren Verein spielten. Und ein Hörspiel-Feature vertont die Wahrnehmung so genannter "blinder Zuschauer", die sich zu Hunderten in kurzer Entfernung zum Hertha Stadion "Plumpe" an der Mauer versammelten, um den Fußballspielen ihrer Mannschaft zu lauschen, bevor der Bereich zum Sperrgebiet wurde.
Einer von ihnen war Helmut Klopfleisch, ein Berliner Fußballfan, der keine Gelegenheit ausließ, wenn Hertha, Bayern München oder die westdeutsche Nationalmannschaft auf osteuropäischem Terrain spielten. Dabei knüpfte er Kontakte zu den Protagonisten des Sports. Die Ausstellung etwa präsentiert ein Trikot von Karl-Heinz Rummenigge und schildert den verschlungenen Weg, auf dem es in Klopfleischs Besitz kam: Dieser war nämlich im März 1981 mit Frau und Sohn zu einem Spiel von Bayern München ins tschechische Ostrava gereist. Nach dem 4:2 Erfolg der Bayern, wollte Rummenigge sein Trikot an Klopfleisch für dessen Sohn überreichen. Doch der lehnte ab - er ging von einer Beobachtung durch die Stasi aus und sah keine Chance, das Trikot nach Hause zu bringen. Einige Monate später überquerte Fritz Scherer, damals Vereinspräsident bei Bayern München, den Grenzübergang Friedrichstraße und trug dabei das Trikot unter Pullover und Mantel. "Wir haben es ja damals versprochen", soll Scherer gesagt haben - und übergab den Stoff in Klopfleischs Berliner Wohnung der Familie.