Auch diesmal wurde ein demokratisch gewählter Premierminister abgesetzt. Nachdem seine Einheiten die Kontrolle über das Regierungsgebäude in Bangkok übernommen hatten, erklärte der thailändische Armeechef, General Sonthi Boonyaratglin, am 19. September, mit dem Putsch solle die seit Monaten andauernde politische Krise im Land beendet werden, zum Wohle des Volkes und zum Schutz der Monarchie. Die Verfassung von 1997 wurde für ungültig erklärt, die Regierung aufgelöst und zahlreiche Mitglieder des Kabinetts wurden verhaftet. Premierminister Thaksin Shinawatra war zu diesem Zeitpunkt außer Landes, bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York.
Thaksin, der Vorsitzende der Partei Thai Rak Thai, zu deutsch Thais lieben Thais, war 2001 zum Premierminister gewählt worden. Seit fast einem Jahr gab es immer wieder Massenproteste gegen seine Person und seine Politik. Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, hatte Thaksin Anfang April Neuwahlen angesetzt, obwohl er erst im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit wiedergewählt worden war. Doch die Oppositionsparteien boykottierten die Wahlen und es kam kein beschlussfähiges Parlament zustande, weil die Kandidaten der Regierungspartei in den Hochburgen der Opposition nicht die erforderliche Mehrheit der Stimmen erhielten. Die Wahlen wurden für ungültig erklärt, Thaksin trat zurück, blieb aber geschäftsführend im Amt. Seitdem ist die thailändische Politik eigentlich handlungsunfähig. Die angekündigten Neuwahlen wurden immer wieder verschoben.
Bereits seit einigen Monaten war darüber spekuliert worden, dass die thailändische Armee in die politische Krise des Landes eingreifen könnte. Erst vor wenigen Wochen war ein angeblich geplantes Bombenattentat gegen Premierminister Thaksin vereitelt worden. Im Kofferraum eines Autos in der Nähe von Thaksins Haus waren Sprengstoff und andere Zubehörteile für eine Bombe entdeckt worden. Mehrere Offiziere wurden wegen Verstrickung in den Anschlagversuch verhaftet.
Allerdings wurde auch darüber spekuliert, dass die ganze Angelegenheit inszeniert worden sein könnte, um die Unterstützung für den in Bedrängnis geratenen Premierminister zu stärken.
Die Armeeführung um General Sonthi nutzte die Abwesenheit des Regierungschefs für den Putsch. Wäre Thaksin in Bangkok gewesen, hätte man ihn verhaften müssen, was seine Anhänger möglicherweise mobilisiert hätte, und es wäre unter Umständen zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Ein solches Szenario wollten die Putschisten offenbar vermeiden.
General Sonthi gilt als besonnener Mensch und als Vertrauter des thailändischen Königs. Der 59-jährige Armeechef hat in der Vergangenheit häufig für den König gesprochen und die Besorgnis des Monarchen über die politische Entwicklung in Thailand öffentlich zum Ausdruck gebracht.
Sonthi ist der erste moslemische Armeechef im sonst mehrheitlich buddhistischen Thailand. Er war erst vor einem Jahr in dieses Amt befördert worden und sollte unter anderem für Ruhe und Ordnung in den südlichen Provinzen sorgen. Im Süden Thailands ist die Bevölkerung mehrheitlich moslemisch im Gegensatz zur buddhistischen Mehrheit in den anderen Regionen des Landes. Seit über zwei Jahren kämpfen Unabhängigkeitsgruppen dort für mehr Autonomie, mehr als 1.300 Menschen sind seitdem bei Anschlägen und anderen Gewaltakten ums Leben gekommen.
Sonthi hatte in der Vergangenheit vorgeschlagen, mit den Aufständischen Verhandlungen zu führen. Darüber war es schon vor Monaten zu einem ersten Konflikt zwischen dem Armeechef und der Regierung Thaksin gekommen. Denn Thaksin setzte mehr auf polizeiliche Gewalt und weniger auf politische Lösungen. Armeechef Sonthi war aber offenbar auch als eine Art Gegengewicht zu den zahlreichen Generälen aus dem Umfeld des Premierministers ins Amt gekommen. Denn Thaksin hatte während seiner Amtszeit zahlreiche Freunde aus der Schulzeit in Schlüsselpositionen befördert. Der Regierungschef habe die Streitkräfte politisiert, so lautete einer der Vorwürfe der Opposition gegen den umstrittenen Premier.
Am Abend des Militärputsches hatte General Sonthi die Thaksin-loyalen Generäle geschickt ausmanövriert. Die Mobilisierung der Armeeeinheiten war als militärische Übung getarnt worden. Die Putschisten fuhren in einem Konvoi zum Palast, um König Bhumipol Aduljadej, der vor mehr als 60 Jahren den Tron bestieg und als die höchste Autorität im Land gilt, Bericht zu erstatten und ihm ihre Loyalität zu bekunden.
General Sonthi kündigte an, die Macht innerhalb von zwei Wochen an eine Übergangsregierung abzugeben, die aus Zivilisten bestehen soll. Die Armee habe nicht vor, langfristig die Macht in Thailand zu behalten. Dafür erhielten die Putschisten sogar die Unterstützung des Königs. Per königliches Dekret wurde General Sonthi zum Vorsitzenden des neuen so genannten Demokratischen Reformrates ernannt. Er soll dafür sorgen, dass Thailand schon bald wieder auf den Weg der Demokratie zurückgeführt werden kann. Eine neue Verfassung soll ausgearbeitet werden und dann soll es Neuwahlen geben, dies jedoch frühestens im Oktober kommenden Jahres.
Die Bevölkerung reagierte weitgehend gelassen auf den Militärputsch, sogar eher mit Jubel und Erleichterung. Als die Panzer und Militärfahrzeuge durch Bangkok fuhren und vor dem Regierungsgebäude Position bezogen, wurden die Soldaten von einer jubelnden Menge begrüßt. Viele Einwohner von Bangkok kamen zu den Absperrungen rund um den königlichen Palast, verteilten Blumen und Geschenke an die Soldaten und stellten sich vor den Panzern für ein Photo für das Familienalbum auf. Nach einer Umfrage der Tageszeitung "Bangkok Post" unterstützen rund 80 Prozent der Thais in der Hauptstadt den Militärputsch. Mehr als 70 Prozent erwarten, dass durch den Putsch die politische Krise im Land beendet wird.
Die größte Sorge der Menschen ist die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Thailand, das in den vergangenen Jahren seine Wirtschaft weitgehend stabilisiert und im Ausland hohes Ansehen für die politische Stabilität gewonnen hatte, hat durch die entstandene Situation zweifellos einen großen Imageschaden erlitten. Der wirtschaftliche Schaden für die Tourismusindustrie dürfte ebenfalls beachtlich sein. Die Tourismusindustrie im Land befürchtet, dass in der bevorstehenden Hauptsaison viele Urlauber ihre Reise nach Thailand stornieren könnten. Insgesamt erwarten die Wirtschaftsexperten aber keine negativen Konsequenzen. Der Militärputsch habe vor allem kurzfris-tig negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, heißt es. Langfristig werde die Wirtschaft aber vom Ende der politischen Krise profitieren.