Es geht um die größte Investition in der Wirtschaftsgeschichte des Landes, um 6.000 Arbeitsplätze, um ein bisschen Hoffnung für das 20.000-Einwohner-Städtchen Fray Bentos in Uruguay - sagen Befürworter. Es geht um die Zukunft des Grenzflusses Río Uruguay, um Tonnen hochgiftiger Dioxin-Abfälle, um ein dreckiges Drittwelt-Investment europäischer Unternehmer - sagen die Gegner auf der argentinischen Seite. Es geht um viel mehr als ein einzelnes Projekt - sagt Greenpeace. Der Bau zweier Zellulosefabriken in Uruguay hat die beiden südamerikanischen Nachbar- und Bruderländer in einen schweren Konflikt gestürzt.
Blockierte Straßen und Brücken, Streitverfahren vor diversen internationalen Gerichten, und jetzt sogar ein Boykottaufruf gegen urugayische Banken: Der Streit scheint gar kein Ende zu nehmen. Er begann 2003, als Uruguays damaliger Präsident grünes Licht gab für die Errichtung der beiden Fabriken. Eine baut die spanische Firma Ence, sie soll 500.000 Tonnen Zellulose pro Jahr aus Eukalyptushölzern erzeugen - ungefähr so viel wie die größte deutsche Zellstofffabrik im brandenburgischen Stendal. Ein zweites Werk der finnischen Botnia, sechs Kilometer entfernt, wird die doppelte Jahreskapazität produzieren. Der Zellstoff soll dann nach Europa und China verfrachtet und zu Papier verarbeitet werden. Beide Projekte zusammen werden auf insgesamt 1,8 Milliarden Dollar geschätzt, die größte Investition in der Geschichte Uruguays.
Auf argentinischer Seite jedoch hat man Angst vor den Fabriken: "Wir rechnen mit höchst giftigen Rückständen für die Umwelt", sagt Alberto Flojas. Der Soziologe ist Teil der Protestbewegung in Gualeguaychú, jener 80.000-Einwohner Stadt, die den Papierfabriken am argentinischen Flussufer gegenüberliegt. Die Zellstofffabriken, so Flojas, werden die Strände des Río Uruguay mit krebserregenden Dioxin-Rückständen verseuchen und damit Touris-ten verscheuchen, die lokale Honigproduktion lahmlegen. "Das ist alles wissenschaftlich bewiesen", sagt Flojas.
So wie das kleine gallische Dorf von Asterix und Obelix den Römern das Leben schwer macht, so ist Gualeguaychú zum Zentrum des Widerstandes gegen die Papierfabriken geworden. Die örtliche Karnevalsprinzessin hüpfte beim letzten EU-Lateinamerika-Gipfel im Glitzerbikini ins Bild, als sich die Staats- und Regierungschefs gerade die Krawatten fürs Gruppenfoto zurechtzogen. Während der argentinischen Sommerferien im Januar besetzten Alberto Flojas und seine Kampfgenossen von der "Umweltversammlung Gualeguaychú" wochenlang die Brücke ins Nachbarland, so dass die Touristen auf dem Weg nach und aus Uruguay weite Umwege fahren mussten. Präsident Néstor Kirchner, der sich voraussichtlich im Oktober 2007 für eine zweite Amtszeit wählen lassen wird, hat den Kampf gegen die Papierfabriken zur nationalen Sache erklärt. Er ließ bereits einen Staatsakt in Gualeguaychú abhalten. Die Umweltaktivistin und Rechtsberaterin der Regierung im Kampf gegen die Fabriken, Romina Picolotti, wurde von Kirchner zur neuen Umweltsstaatssekretärin ernannt.
Auf der anderen Seite des Río Uruguay verteidigt man die Zellulosefirmen. Man hofft auf Arbeitsplätze, auf die das Bruderland ja nur neidisch sei. Und wenn das sonst so wenig umweltbewusste Argentinien plötzlich die Liebe zur Ökologie entdeckt habe, argumentieren Uruguayer, dann sollte es lieber erstmal seine eigenen Papier- und sonstigen Fabriken auf Vordermann bringen.
Botnia selbst, eine frühere Tochter der Handy-Firma Nokia und heute der zweitgrößte Zellstoffproduzent Europas, redet von rund 8.000 neuen Stellen, die das Projekt schaffen werde. Uruguays Bruttoinlandsprodukt werde allein dank der Papierfabriken um 1,6 Prozent wachsen, sagte Botnia-Repräsentant Carlos Faroppa vor kurzem bei einer Präsentation in Montevideo. Vor allem aber verweist er auf die scharfen EU-Richtlinien, die man bei der Zelluloseproduktion einhalten werde. "Wir produzieren mit den bestmöglichen Technologien, die heute weltweit auf dem Markt sind", so Faroppa. Alle Grenzwerte werden eingehalten, mit den Produktionsrückständen werde man ein Kraftwerk zur Energieversorgung betreiben, alleine ein Viertel der Investitionssumme werde für die Wasseraufbereitung verwendet. Laut Alicia Torres, Uruguays nationaler Umweltdirektorin, wurden bei der Genehmigung des Projekts höchste Standards eingefordert - und eingehalten. Gefährliche Schäden für Luft, Wasser oder Böden seien nicht zu erwarten, "beide Firmen arbeiten mit den besten verfügbaren Technologien", so Torres.
Auch Rodolfo Terragno, Senator der sozialdemokratischen Oppositionspartei UCR in Argentinien und ein Kenner des Projektes, traut den Unternehmensangaben: "Da werden die sanftesten Technologien verwendet, die derzeit verfügbar sind", meint Terragno. Die Chemikalien, die die Landwirtschaftsbetriebe im Nordosten Argentiniens verwenden, seien viel schädlicher für das Wasser. "Viele Uruguayer denken, die Argentinier seien Imperialisten, die die Industrialisierung und die Entwicklung Uruguays verhindern wollten. Viele Argentinier denken, Uruguay sei verantwortungslos und wolle uns vergiften. Beide Sichtweisen sind falsch und gefährlich", sagt Terragno. Er wirft Staatschef Kirchner vor, den Konflikt mehr als nötig angeheizt zu haben. Spätestens Mitte Juli, als Argentiniens Klage gegen Uruguay vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag mit 14:1 Stimmen abgelehnt wurde, hätte Kirchner zum Rückzug blasen müssen, so der Senator.
Juan Carlos Villalonga, politischer Direktor bei Greenpeace Argentinien, glaubt allerdings, dass hinter dem Konflikt viel mehr steckt: "Die globale Papierindustrie wird in den kommenden Jahren zu großen Teilen nach Südamerika verlegt werden - und jetzt geht es um die Definition der Spielregeln." Bislang sei Papier größtenteils dort produziert worden, wo es auch konsumiert wird - in Europa und Nordamerika. Doch das ändere sich gerade, so Villalonga: "Hier gibt es viel Raum zur Anpflanzung und viel Wasser, die Bäume wachsen durchschnittlich dreimal so schnell wie in Europa, die Lohnkosten sind niedrig." So stehe auch in Chile, Brasilien und Paraguay der Bau neuer Zellulosefabriken an.
In Fray Bentos unterdessen geht der Bau beider Anlagen voran, in einem Jahr soll schon die Zellstoffproduktion beginnen. Die Firmengegner aus Gualeguaychú haben inzwischen an die Weltbank und an die New Yorker Börsenaufsicht geschrieben. Sie haben internationale Banken gebeten, Kredite für die Projekte zurückzuhalten. Sie haben an die eigenen Landsleute appelliert, die beliebten Auslandskonten in Uruguay aufzulösen - aber bislang ohne Erfolg. Alberto Flojas und seinen Verbündeten bleibt also nicht mehr viel Hoffnung.