Thüringens Finanzministerin Birgit Dietzel (CDU) will bis "spätestens" 2012 ohne neue Schulden für das Land auskommen. "Ein ambitioniertes Ziel", wie sie selber sagt. Umso mehr ärgert sie sich über den immer wieder aufflackernden Streit, ob die neuen Bundesländer auch die Einnahmen aus dem Solidarpakt richtig ausgeben, nämlich für Investitionen und nicht nur den Konsum. Lediglich dem Freistaat Sachsen wird attestiert, dass er sich den Vorschriften gemäß verhält. Doch Birgit Dietzel kontert: Man habe die Gelder "zwar formal fehlverwendet, aber nicht verschwendet". Und dabei wird es ihrer Überzeugung nach auch vorerst bleiben.
Nach ihren Angaben im so genannten Fortschrittsbericht 2005 über die Verwendung und die Auswirkung der Solidarpaktmittel räumt sie ein, dass lediglich 35 Prozent der Solidarpaktmittel zweckgerecht ausgegeben worden seien. Doch das sei nur eine Betrachtungsweise. Die andere müsse berücksichtigen, ob es mit dem Land weiter aufwärts gehe, sich also die Unterstützung insgesamt positiv für die Zukunft Thüringens auswirke. Sie ist sogar überzeugt, dass Thüringen trotz der geringen Quote beim Aufbau Ost "am Stärks-ten aufholt". Denn das Land habe mit 602 Euro pro Einwohner überdurchschnittlich in wachstumsrelevante Bereiche investiert.
Die Finanzministerin war schon immer überzeugt, dass - bildlich gesprochen - Thüringen seinen Anzug in die Änderungsschneiderei bringen solle. Das passt verständlicherweise nicht jedem Politiker ins Konzept, auch nicht in der im Freistaat mit nur einer Stimme Mehrheit regierenden CDU. Dennoch bleibt die Ministerin dabei, "den Gürtel enger zu schnallen". Und Thüringen hat damit bereits begonnen. So wird die gegenwärtige Zahl von 20 Finanzämtern des Freistaates auf zwölf zurückgeführt, werden im Rahmen der Strukturreform der Landesbehörden ohne Entlassungen 7.400 Stellen gestrichen. Für den Vorsitzenden der SPD im Landtag Thüringens, Christoph Matschie, handelt es sich dabei freilich um Kürzungen "ohne Konzept". So habe man ganze Aufgabenfelder - wie etwa die Erwachsenenbildung - abgegeben.
Auch geht die Finanzministerin davon aus, dass die Zahl der Einwohner weiter sinken wird - durch Abwanderung in den Westen und durch zu geringe Geburtenzahlen. Das kommt erschwerend hinzu zu den vorhandenen Schulden, der längst im Gang befindlichen negativen demografischen Entwicklung und die nicht befriedigende Entwicklung der eigenen Steuereinnahmen. Aber auch die Solidarpaktmittel, die 2009 auslaufen, werden langsam abgeschmolzen (sie sollen 2019 auslaufen). Rechne man alle Risiken zusammen, so Birgit Dietzel, ergibt sich bis zum Jahr 2020 ein Anpassungsdruck auf den Thüringer Landeshaushalt von rund drei Milliarden Euro.
Für den Finanzexperten der SPD-Landtagsfraktion, Werner Pidde, hat Thüringen in den vergangenen Jahren schlichtweg über seine Verhältnisse gelebt und zu viele Kredite aufgenommen - "auch um Wahlversprechen zu finanzieren". So habe allein die Abschaffung der Wasserbeiträge vor der jüngsten Landtagswahl den Freistaat rund eine Milliarde Euro gekostet. Unter den neuen Bundesländern ist Thüringen seit 1999 - dem Ende der großen Koalition im Freistaat - "am meisten abgerutscht" und habe nach Auffassung Piddes den höchsten Pro-Kopf-Anstieg der öffentlichen Schulden. Keineswegs sei das Land darauf vorbereitet, dass die Bundeszuwendungen nach dem Solidarpakt II von gegenwärtig 1,5 Milliarden Euro bis 2020 komplett wegfallen.
Der finanzpolitische Sprecher der Linkspartei.PDS im Landtag, Mike Huster, warnt davor, den absehbaren Wegfall der Zahlungen aus dem Solidarpakt II auf die leichte Schulter zu nehmen, zumal Thüringen bereits ab 2009 mit 100 Millionen Euro weniger auskommen müsse. Zahlen, die selbstverständlich auch der Finanzministerin schwer zu schaffen machen. Huster tritt für eine "nachhaltige Kooperation und gemeinsame Strategie" der Freistaaten Thüringen und Sachsen und dem Land Sachsen-Anhalt ein. So fordert er den Ausbau von Jena, Halle und Leipzig zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum. Schlage dieses "Herz" richtig, werde es auch zu neuen Arbeitsplätzen kommen.
Huster hält eine Fusion der drei genannten neuen Länder "momentan nicht für zwingend", will sie aber für die Zukunft auch nicht ausschließen. SPD-Politiker Pidde kritisiert ferner, dass andere Bundesländer längst eine Gebietsreform in Angriff genommen oder gar durchgeführt haben. In Thüringen jedoch geschehe nichts, obwohl gerade eine solche Reform für die Zukunft des Landes von entscheidender Bedeutung sei.
Welchen Weg will die Finanzministerin beschreiten? Sie hat ihn bereits klar vor Augen: "Thüringen klein, aber fein." Sie möchte erreichen, dass sich das Land künftig auf das spezialisiert, "was Thüringen wirklich nützt". Außerdem will sie bei den staatlichen Strukturen die vorhandenen Überkapazitäten an das Erforderliche anpassen. Wichtig ist der Ministerin, dass man mehr das Erreichte sieht und etwa im Blick auf die nicht korrekte Verwendung der Solidarpaktmittel auch einmal die Zwänge eines neuen Bundeslandes zur Kenntnis nimmt: "Unzweifelhaft macht die geringe Verwendungsquote - für Investitionen - aber auch den weitergehenden Handlungsbedarf beim Thema Schuldenabbau deutlich. Denn Ursache für die geringe Verwendungsquote ist in der Hauptsache die hohe Neuverschuldung von 984 Millionen Euro sowie das zu finanzierende Defizit aus dem Jahr 2003 in Höhe von 219 Millionen Euro." Für den weiteren Fortschritt beim Aufbau Ost ist es aus der Sicht der thüringischen Finanzministerin entscheidend, in welchem Maß die öffentlichen Haushalte Wachstum und Beschäftigung förderten. So richtet sie denn auch immer wieder die Bitte an die SPD- und Linke-PDS-Opposition im Landtag: Man dürfe den Standort Thüringen nicht schlecht reden und die Apokalypse nicht an die Wand malen.