ROMA
Europas größte ethnische Minderheit lebt trotz vieler Versprechen weiter am Rand der Gesellschaft
Vier Meter hoch sollte sie ursprünglich werden, die Mauer, die den bürgerlichen Teil der Straße von den Mietskasernen der Roma-Familien trennt. "Der Schmutz und der Lärm", klagten die Anwohner im tschechischen Usti nad Labem, "wird uns einfach zu viel!" Am Ende bauten sie einen Zaun mitten durch ihr Viertel, zwei Meter hoch und vor allem ohne einen einzigen Durchschlupf. Das Ziel: Die Roma-Familien sollten möglichst weit wegrücken von den gepflegten Vorgärten der Mittelschichts-Häuser. Der Fall aus der Maticni-Straße ging um die Welt. Knapp zehn Jahre ist die Sache her, inzwischen ist der Zaun abgerissen und die verantwortlichen Politiker haben sich entschuldigt - aber noch immer tun sich Tschechen und Slowaken schwer mit der starken Roma-Minderheit in ihren Ländern. Nicht einmal genaue Zahlen gibt es, wie viele Roma hier leben; Experten gehen von 500.000 Roma in der Slowakei (etwa zehn Prozent der Bevölkerung) und etwa 200.000 in Tschechien (zwei Prozent) aus.
Nur wenige von ihnen haben den Sprung in die Mehrheitsgesellschaft geschafft; die meisten leben abgeschottet in ihrer eigenen Welt. Eine umfassende Strategie zur Integration gibt es weder in Tschechien noch in der Slowakei. Wer die Probleme der Minderheit verstehen will, muss sich auf eine lange Reise begeben: Zum Beispiel nach Kosice, in die zweitgrößte Stadt des Landes an der Grenze zur Ukraine. In dieser Region ist die Roma-Minderheit überdurchschnittlich stark vertreten. Hier entstehen alle die Schreckensfotos, die regelmäßig um die Welt gehen: Slumartige Unterkünfte ohne Strom und fließendes Wasser zeigen die Bilder, auf den Straßen steht zentimeterdick der Schlamm und zwischen den notdürftig gezimmerten Hütten spielen verwahrloste Kinder. Von diesen Siedlungen gibt es hier gleich mehrere, und selbst in der Großstadt Kosice mit ihren mehr als 250.000 Einwohnern ist das Elend offensichtlich. Lunik IX heißt die Plattenbausiedlung, die sich am Rande der Altstadt erhebt; die kommunistische Regierung schob die Mitglieder der Roma-Minderheit systematisch in dieses Viertel ab und ließ es zum Ghetto mit herausgefallenen Fensterscheiben und vermüllten Rasenflächen verkommen. Eine Ausfallstraße trennt Lunik IX vom historischen Kern der Stadt Kosice.
Heute sind die Zeiten vorbei, in denen die Politik nach solcherlei symbolträchtigen Kraftakten die Roma-Problematik kurzerhand für gelöst erklärt. In Tschechien etwa gibt es ein Ministerium, das sich mit den Minderheitsbelangen auseinandersetzt. Dessen drängendste Aufgabe ist es nach Ansicht von Fachleuten, den Teufelskreis zu durchbrechen, in dem viele Roma-Familien seit Generationen gefangen sind: Die Kinder verlassen häufig ohne Abschluss die Schule und finden keine Arbeit.
Sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich inzwischen mit dem Bildungsproblem beschäftigt. Im vergangenen Jahr klagten mehrere tschechische Eltern dagegen, dass die Schulaufsicht ihre Kinder auf die Sonderschule verwiesen hat (Fall Nr. 57325/00). Sie wollten damit einen Präzedenzfall schaffen, denn etwa die Hälfte aller tschechischen Roma-Kinder kommt nach Schätzungen der "Agentur der Europäischen Union für Grundrechte" auf eine Sonderschule. Die Straßburger Richter gaben den klagenden Eltern Recht. Beobachter hoffen nun auf eine tiefgreifende Änderung des tschechischen Schulsystems.
"Rein theoretisch und auf dem Papier ist hier in Tschechien auch jetzt schon alles so, wie es sein soll", sagt Jarmila Balazova von der Roma-Initiative Romea: "Es gibt Dokumente, in denen eine bessere Wohnsituation und die Gleichstellung auf dem Arbeitsmarkt versprochen werden. In Wirklichkeit aber entstehen neue Ghettos, manche sogar unter Beteiligung von Politikern." In Tschechien ist es vor allem der Parteichef der Christdemokraten, Jiri Cunek, der sich mit Roma-feindlichen Äußerungen hervortut. Bekannt wurde er noch als Provinzbürgermeister: Damals ließ er mehrere Roma-Familien aus einem Abbruchhaus im Zentrum seiner Stadt in eine weit entfernte Containersiedlung jenseits der Gemeindegrenze schaffen. Auf einem Parteitag erklärte er, dass die "traditionelle Roma-Kultur und ihr Wertesystem bei einer Reihe von Beispielen im Widerspruch zu den verbrieften Grundrechten und Grundfreiheiten in diesem Staat" stünden.
In der Slowakei wendet sich vor allem die Nationalpartei (SNS) immer wieder gegen die Roma. Die als rechtsextrem geltende Gruppierung ist seit 2006 an der Regierung beteiligt. Prominente Parteimitglieder haben in der Vergangenheit die Sterilisierung aller Romafrauen gefordert und geäußert, die Probleme der Minderheit ließen sich nur "mit einer kleinen Wohnung und einer großen Peitsche" lösen. Für besonderes Erstaunen sorgte die Nationalpartei deshalb im vergangenen Jahr, als sie ein Kooperationsabkommen mit einem der größten Roma-Verbände geschlossen hat. Hintergrund dürfte sein, dass die Rechten den Minister für Regionalenwicklung stellen, der die EU-Strukturfonds verwaltet. "Ich sage nicht, dass die Kooperation mit der Nationalpartei ein glückliches Zusammenspiel ist", räumt Roman Kaiser vom slowakischen Roma-Verband erpa ein. "Man muss sich aber die Situation der Minderheit vor Augen halten: Die Not ist so groß, dass wir nicht schauen können, ob jemand rechts ist oder links. Die Lage muss sich verbessern, egal, wer dahintersteht."