Landtagswahl
SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti hat mächtig aufgeholt. Ob das reicht, um Koch zu entthronen?
Die Landtagswahl in Hessen wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das rot-grüne Lager holt gegenüber CDU und FDP deutlich auf. Und trotz der CDU-Kampagne gegen jugendliche Kriminelle hat die SPD-Spitzenkandidatin in der heißen Wahlkampfphase Tag für Tag Boden gut gemacht. Umfragen zufolge ist die 50-Jährige im direkten Vergleich mittlerweile am amtierenden Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) sogar vorbeigezogen. Zünglein an der Waage dürfte am 27. Januar die Linkspartei sein.
Der Wahlkampfbus der SPD ist bis auf den letzten Platz besetzt. Nicht nur Presseleute aus ganz Deutschland sind nach Hessen gekommen. Auch Journalisten aus Schweden, Korea und Tschechien wollen wissen, was in dem Bundesland los ist, wo eine attraktive Frau mit Linksprofil den CDU-Regierungschef nach neun Jahren aus dem Amt werfen möchte und wo vielleicht die Linkspartei in den Landtag einzieht. Die ganze Republik schaut auf Hessen. Sogar Politrentner Joschka Fischer lässt es sich nicht nehmen, nach Wiesbaden zu kommen, um die Grünen beim Sturz Roland Kochs zu unterstützen.
"Wir haben es nicht nötig, Politik mit Angst zu machen. Wir können Politik mit Hoffnung machen, weil wir Antworten für die Zukunft haben." Nicht nur für diese Aussage bekommt Ypsilanti von ihren Anhängern viel Beifall. Applaus gibt es für ihre Attacken gegen den Ministerpräsidenten, der nach ihrer Überzeugung im Wahlkampf Ressentiments und Ängste schürt, für ihr bildungspolitisches Konzept und bei den Themen Mindestlohn, Studiengebühren und Kinderarmut. Kinder, die kein Geld für das Schulessen oder die Geschenke für den Kindergeburtstag haben: Solche Zustände seien einer erfolgreichen Industrienation nicht würdig, spricht sie vielen ihrer Zuhörer aus dem Herzen.
"Andrea, Andrea", skandieren die Besucher des SPD-Neujahrsempfangs in Frankfurt am Ende ihrer Rede. Bei der hessischen SPD herrscht derzeit Partystimmung. Die Umfragen werden immer besser und ihre Spitzenkandidatin will es jetzt wissen. "Wir sind in der Offensive", erklärt Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck, der nach Mühlheim am Main gekommen ist, um seine Parteifreundin zu unterschützen. Für ihn findet im Interesse der ganzen Republik in Hessen eine "Denkzettelwahl" statt gegen die "spalterische Politik" der Christdemokraten. Dass Ypsilanti ebenso beharrlich wie erfolgreich auf ursozialdemokratische Ideale wie Freiheit und Solidarität setzt, wird nicht nur von den hessischen Genossen honoriert, sondern mittlerweile auch von der Bundespartei.
Neben Koch wirkt die SPD-Frau im Moment jedenfalls wie das blühende Leben. Der Ministerpräsident laboriert an einer verschleppten Bronchitis. Seine Forderung nach härteren Strafen für kriminelle ausländische Jugendliche hat Koch offenbar nicht den erhofften Schub gebracht. Wie eine gerade veröffentlichte Emnid-Umfrage ergab, hat Koch nach Einschätzung von 58 Prozent der hessischen Bürger in den vergangenen Wochen sogar an Profil verloren.
Zumindest scheint es Koch aber zu gelingen, seine eigene Klientel zu motivieren. "Jawoll" und "Bravo", nicken die CDU-Rentner sich zu, die im Offenbacher Mariensaal bei Kreppel und Kaffee ihrem Landesvorsitzenden lauschen. Das zustimmende Gemurmel wird zum lauten Beifall, als der Ministerpräsident die Ausweisung von Ausländern fordert, die eine Haftstrafe von einem Jahr bekommen haben, und statt "Jugendherbergen mit Pädagogen drin" richtige Gefängnisse verspricht - "mit Mauern, Gittern und Anstaltskleidung".
Man müsse die Zeit der öffentlichen Aufmerksamkeit jetzt nutzen, sagt Koch, damit die SPD bei der Verschärfung des Jugendstrafrechts endlich ihre Dauerbockigkeit aufgebe. Warnschussarrest, die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf 18-Jährige und die Möglichkeit, auch über junge Straftäter eine Sicherungsverwahrung zu verhängen, sind für ihn alles alte Forderungen. "Jetzt haben wir die Chance, ein Problem zu diskutieren, das uns schon lange unter den Nägeln brennt."
Diese Diskussion "nun etwas lauter" im Wahlkampf zu führen, findet der Regierungschef völlig legitim. 50 Prozent der Gewalttaten würden von Jugendlichen unter 21 begangen, die Hälfte davon gingen auf das Konto junger Leute mit Migrationshintergrund, wiederholt er. Es sei kein Kampf gegen Ausländer, es sei ein Kampf gegen Kriminelle, bemüht sich Koch um Differenzierung. Er wolle auch nicht jeden abschieben, versichert der Wahlkämpfer. Aber: "Wenn es die wenigen trifft, wissen die anderen, dass es ernst gemeint ist."
Koch glaubt, mit dem Thema mitten in die Gesellschaft hinein zu treffen. 3.000 zustimmende Mails und Briefe vermeldet die hessische CDU mittlerweile. Doch mit seinen jüngsten Äußerungen zu straffälligen Kindern unter 14 hat er in der öffentlichen Wahrnehmung den Bogen offenbar überspannt. Koch wolle Kinder ins Gefängnis werfen, lauteten die Schlagzeilen am nächs-ten Tag. Er habe das so nicht gemeint, er habe das so auch nicht gesagt, versichert er. Im Zweifel kommt es darauf nicht an, sondern darauf, dass viele ihm eine solche Äußerung zutrauen.
Eine zweite Trumpfkarte glaubt die CDU jedoch mit der Linkspartei zu haben. Das Thema werde mit jedem Tag, den die Wahl näher rückt, wichtiger werden, ist Koch überzeugt, "weil immer klarer wird, dass Frau Ypsilanti nur mit den Alt-Kommunisten der Linkspartei eine Chance hätte, Ministerpräsidentin zu werden". So haben die hessischen Christdemokraten unter anderem mit Hilfe von Opfern des SED-Regimes wie der DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld oder der "Frau vom Checkpoint Charly", Jutta Fleck, eine Aufklärungskampagne gestartet, um zu verhindern, dass der Sozialismus in Deutschland wieder salonfähig wird. Er werde verhindern, versichert der Regierungschef, dass sich die Partei, die keine normale demokratische sei, in den Landtag hineinschleiche.
"Das Abschneiden der Linken ist die entscheidende Größe bei dieser Wahl", ist auch der Chef der Linkspartei, Oskar Lafontaine, überzeugt. Die Linke hat signalisiert, dass sie Ypsilanti durchaus zur Regierungschefin mitwählen würde, wenn sie den Einzug in den Landtag schafft - ganz egal, ob Ypsilanti das gefalle oder nicht, so Spitzenkandidat Willi van Ooyen in einem Interview.
"Wir müssen deutlich machen, dass jede Stimme für die Linke verschenkt ist", sagt Grünen-Chef Tarek Al-Wazir. Seine Partei verliert derzeit an Stimmen - vor allem auch wegen des neuen Aufwinds für die SPD. "Es gibt einen Wechselwillen in Hessen", sagt er, aber das gelinge nur mit starken Grünen. "Wir sind das Original", betont Al-Wazir mit Blick auf die Tatsache, dass das Thema Energiewende auch im sozialdemokratischen Programm prominent besetzt ist.
Wie die Grünen auf die SPD hat auch die FDP sich mit der CDU bereits auf ihren Koalitionspartner festgelegt - trotz unterschiedlicher Auffassungen im Jugendstrafrecht und in der Bildungspolitik. "Mit den Sozialdemokraten ist es inhaltlich nicht machbar", betont Parteichef Jörg-Uwe Hahn. Viel wird derzeit spekuliert, was passiert, wenn es am Abend des 27. Januar weder für ein schwarz-gelbes noch für ein rot-grünes Bündnis reicht. Eine Ampelkoalition gilt als unwahrscheinlich, und die Möglichkeit einer großen Koalition ruft bei CDU und SPD wenig Begeisterung hervor.
Er habe 1989 im Main-Taunus-Kreis eine große Koalition organisiert, witzelt Koch bei diesem Thema gern, aber er habe sie immer nur "Notvorstand" genannt. Auch Ypsilanti graust es vor einer solchen Konstellation. "Ich mache nicht Politik um jeden Preis", sagt die SPD-Spitzenfrau. Dass das Rennen über die Mehrheit in Hessen bis zum Ende hart bleiben wird, wissen beide. "Hessen ist ein knappes Land", warnt Koch seine Anhänger. Wie eine Löwin zu kämpfen, hat Ypsilanti versprochen: "Meine Energie ist jeden Tag erneuerbar."