TRANSMEDIALE
Ein deutsch-palästinensisches Kunstprojekt beschäftigt sich mit den Umweltzerstörungen im Westjordanland - und präsentiert die Ergebnisse in Berlin
In langgezogenen Kurven windet sich die Straße tief in die Schlucht hinab, bis die Sonne hinter dem Berg verschwindet. Dann öffnet sich der enge Korridor zu einem fruchtbaren Tal und die Straße durchquert ein Dorf mit einer gedrungenen Moschee im Zentrum. Hinter dem Ortsausgang liegen Gärten. Unter den Bäumen sitzen Männer im Kreis und essen. Majdi Hadid summt ein Lied.
Er ist auf dem Weg zu einer Stätte seiner Kindheit. Der palästinensische Fotograf und Grafikkünstler Hadid, 32 Jahre, ist in Ramallah aufgewachsen. Damals, erinnert er sich, war dieser Ort leicht zu erreichen. "Ich brauchte bloß hinter dem Haus meiner Eltern über die Mauer zu klettern und den Berg hinunter zu laufen. Und dann war ich hier." Der junge Mann zeigt auf ein eng gewundenes Flusstal, das sich wie eine Furche durch die Talebene zieht. Nur wenige Schritte breit, plätschert der Bach durch ein Feld aus duftender Minze. Doch schon von weitem ist zu sehen: Das Wasser ist schwarz bis rostrot, überall liegt Müll. Dazwischen verrottende Kadaver von Schafen.
Es mache ihn traurig, was aus diesem Ort geworden sei, erklärt er schließlich. Früher sei dies ein Ausflugsziel für Familien aus Ramallah gewesen, die hier herunter gewandert seien und im Schatten der Bäume ein Picknick gemacht haben. Dann bauten die Israelis eine Siedlung auf dem Berg gegenüber. Seitdem trennt eine bewachte Straße das fruchtbare Tal von Ramallah, und man muss einen weiten Umweg mit dem Auto fahren, um herzugelangen. Seither sei das Tal verwaist und zur Müllhalde verkommen.
Majdi Hadid ist Teilnehmer an dem deutsch-palästinensischen Kunstprojekt "Trans4m Orchestra". Zwei Dutzend Künstler aus dem Westjordanland und Gaza haben gemeinsam mit der deutschen Künstlergruppe Blackhole Factory an einer Installation zu den Themen Wasser und Müll gearbeitet. Ab 29. Januar wird die Ausstellung auf dem Berliner Kunstfestival "transmediale.08" zu sehen sein, das sich der digitalen Kunst und Kulturarbeit im Netzwerk widmet. Auch bei "Trans4m Orchestra" stehen diese Aspekte im Vordergrund.
Die Kombination der Begriffe Kunst und Müll war für palästinensische Verhältnisse etwas Neues. Die Idee, mit Kunst das Bewusstsein für die Umweltverschmutzung zu stärken, kam von den deutschen Förderern des Projekts, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ und dem Goethe-Institut in Ramallah. "Es geht allerdings nicht darum, die Kunst zu instrumentalisieren, um entwicklungspolitische Inhalte zu vermitteln", erklärt Farid Majari, Leiter des Goethe-Instituts. "Die Künstler haben völlige Freiheit, ihre Ideen umzusetzen."
Während hierzulande die Arbeit mit Reststoffen allenfalls umweltpolitische Assoziationen erweckt, birgt das Thema im Nahen Osten soziale Sprengkraft. Die Künstler waren auf wilden Müllkippen im Westjordanland unterwegs, um Material für ihre Installation zu sammeln. Sie haben Interviews mit den Müllarbeitern geführt und deren Arbeit dokumentiert. Die Fotos, Ton- und Videodokumente werden sie in eine interaktive Landkarte einbinden, die von den Besuchern bedient werden kann. Elke Utermöhlen von der deutschen Künstlergruppe Blackhole Factory haben diese Exkursionen stark beeindruckt: "In dieser extremen Umgebung, umgeben von Gestank und sozialem Elend, ist der Zusammenhalt der Gruppe entstanden. Hier hat sich unser Selbstverständnis entwickelt."
Für Bashar Zarour und Imam al-Hasnya, zwei junge Künstler, die noch zur Schule gehen, klang die Idee, eine Müllkippe zu besuchen, völlig verrückt. Wie viele ihrer Altersgenossen hatten sie keine Ahnung, dass auf den Müllkippen in Ramallah, Nablus und Hebron Kinder arbeiten. Sie trennen Wiederverwertbares vom Restmüll, verbrennen zum Beispiel Matratzen, um die metallenen Federn aus ihrem Innern herauszuholen. Es ist eine harte Arbeit in einer stinkenden, verseuchten Umgebung - eine Realität, die von der Gesellschaft verdrängt wird. Als er von seinem Besuch auf der Müllkippe erzählt, kommen Imam al Hasnya die Tränen.
Dazu kommt das ökologische Desaster, das diese wilden Müllkippen verursachen. Benzin, Öl, Säuren, alles sickert ins Grundwasser. Die Gruppe hat Pharmazeutika aus Krankenhäusern gefunden und Patientenakten mit vollem Namen, Krankheitsbild und Röntgenbildern.
Zarour hat aus Material, das er auf einer Müllkippe gefunden hat, einen Mann gebastelt, der, mit dem Kopf nach unten, an einem Bein in der Luft hängt. Ein alter Fußball bildet den Kopf, hölzerne Stangen die Beine. Für Zarour ist der Mann, den er in einem Tarot-Kartenspiel gesehen hat, Symbol für die hilflose Lage, in der er sich als Palästinenser befindet. "Für mich steht die Welt auf dem Kopf", sagt er und lächelt schüchtern.
In den Räumen des "Young Artist Forum", Ramallah, hängen Porträtstudien mit Bleistift und Aquarelle. Je weiter man nach hinten durchgeht, desto strenger riecht es. Hier arbeiten die Teilnehmer des Projekts. Inmitten von Müll. Aus Gaza sind zwei weitere Palästinenser zugeschaltet. Per Telefon. Die beiden Maler arbeiten ebenfalls am Projekt mit. Doch Gaza ist abgeschottet, keiner der Beteiligten hat eine Genehmigung bekommen, durch Israel ins Westjordanland zu reisen. Die Stimmen sind auf einen Lautsprecher geschaltet, es rauscht und klingelt in der Leitung, immer wieder bricht das Gespräch ab. Als würde man mit der Besatzung eines Raumschiffs sprechen, die irgendwo im All treibt.
Ursprünglich war geplant, dass man eng zusammenarbeitet, die Deutschen und die Palästinenser aus Gaza und Ramallah. "Doch seit Monaten ist es uns nicht gelungen, Künstler aus Gaza nach Ramallah zu bringen", sagt Farid Majari, Leiter des Goethe-Instituts in Ramallah. "Palästina ist faktisch geteilt, zwischen den Teilen gibt es kaum Kommunikation und praktisch keine Reisefreiheit. Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung."
Als Künstler in den palästinensischen Gebieten zu arbeiten, ist eine besondere Herausforderung. In Ramallah, knapp 60.000 Einwohner, Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde und so etwas wie eine informelle Hauptstadt des Westjordanlands, gibt es immerhin ein Theater, ein Konservatorium und einen Kulturpalast. Doch die Szene ist überschaubar. Künstler sind auf Förderung angewiesen, von Institutionen wie zum Beispiel der Qattan Foundation, die Kultur und Bildung in den palästinensischen Gebieten unterstützt oder dem Young Artist Forum, eine kulturelle Bildungseinrichtung, die junge Talente fördert. Die anderen schlagen sich mit Nebenjobs durchs Leben.
Man könnte vermuten, Kunst sei angesichts der existenziellen Probleme, die das Land hat, reiner Luxus. Majdi Hadid widerspricht: "Es ist der Versuch, Alltag zu schaffen", erklärt er. "Wir wollen beweisen, dass es in Palästina noch etwas anderes gibt als die immerwährende politische Krise." Majdi Hadid stammt von einer derjenigen Familien ab, die Ramallah einst gegründet haben. Er ist hier aufgewachsen, später hat er Grafikdesign in Kanada studiert, doch anders als viele seiner Landsleute ist er zurückgekehrt in den desolaten Nahen Osten, er hofft auf Frieden. Wie die meisten Künstler, kann er von seinen Fotoausstellungen allein nicht leben. Er hat einen Job in einer Werbe- agentur.
Vor einigen Jahren reiste er mit einem Künstlerstipendium für zwei Wochen nach Berlin. Ihm schwebte eine Art Vergleich zwischen Ramallah und Berlin vor, er hatte die Mauer im Sinn. Doch 15 Jahre nach ihrem Fall konnte er kaum mehr Spuren finden. Für ihn war es wie ein Traum: "Wo bei euch zwei Länder zusammenwachsen, wird bei uns eines geteilt."