Drittes Reich
Wie die Nazis die alten Eliten mit Privilegien und Luxus köderten
Hitler trank keinen Alkohol, aß kein Fleisch und liebte seine Spaziergänge auf dem Obersalzberg. War er deshalb schon ein Asket, wie es die Propaganda der deutschen Volksgemeinschaft zwölf Jahre lang Glauben machen wollte? Bestimmt nicht. Und die Deutschen wussten das auch. Schließlich konnte der "Volksgenosse" in Illustrierten und auf offener Straße beobachten, dass sich Hitler gerne im sündhaft teuren Mercedes-Cabriolet kutschieren ließ, sich mit monumentalen Bauten, geraubten Kunstsammlungen und bei großen Empfängen mit schönen Frauen schmückte. Doch in welchem Saus und Braus die oberen Zehntausend des Dritten Reichs wirklich lebten, blieb den Millionen darunter meist verborgen. Erst recht blieb der Masse verborgen, welche Rolle die gehobenen Lebens- und Umgangsformen bei der Eroberung und Festigung der Macht spielten. Und auch die allermeisten deutschen Historiker haben bislang die politischen und sozialen Funktionen des gesellschaftlichen Lebens im Dritten Reich übersehen.
Der französische Zeithistoriker Fabrice d'Almeida hat nun hinter die Kulissen des braunen Establishments geblickt und in flüssigem, zuweilen bissigem Stil zusammengefasst, was das "mondäne Leben im Nationalsozialismus" so einzigartig machte. Dabei überraschen weniger die vielen süffisanten Details aus dem luxuriösen Alltag der braunen Machthaber, die abermals bezeugen, dass "Kraft durch Freude"-Chef Robert Ley ein Säufer, Propagandaminister Joseph Goebbels ein Ehebrecher und Reichsmarschall Hermann Göring ein barocker Genussmensch und leidenschaftlicher Jäger war. Überraschend und überzeugend stellt der Franzose vor allem dar, wie früh und wie erfolgreich Hitler schon um die traditionellen Eliten aus Adel und Wirtschaft gebuhlt hat und wie er sie trotz seines martialischen Gehabes in der Öffentlichkeit für seine Sache gewinnen konnte. Hitler beherrschte wie kein anderer den Spagat, sich beim Volk und sukzessive bei den politisch wie gesellschaftlich einflussreichen Personen beliebt zu machen. Allerdings überschätzt der Franzose den sozialen Rückhalt, den Hitler in der Oberschicht bis zur Machtübernahme genoss.
Erst als sich nach 1933 abzeichnete, dass der "Erneuerer" ihre Privilegien nicht antastete und bei "guter Führung" erheblich erweiterte, konnte von einer zunehmenden Verschmelzung der braunen und der bisherigen Elite gesprochen werden. Ob ihm rund drei Millionen gut situierte Deutsche aus Idealismus, Konformismus oder Materialismus folgten, kann d'Almeida letztlich auch nicht entscheiden. Klar ist für ihn nur, dass es sich bei ihrer Annäherung um eine "subtile Form der freiwilligen Selbstaufgabe" handelte. Ehrungen und Einladungen, Geldgeschenke und Autos sowie andere wertvolle Aufmerksamkeiten schmeichelten der alten Oberschicht, die es sich wie die braune Funktionselite auf Kosten des Volkes und enteigneter Juden mehr als gut gehen ließ.
Nie zuvor, und das ist vielleicht die bestechendste Erkenntnis aus diesem Buch, ist in der deutschen Geschichte so gezielt, so systematisch, so skrupellos, so flächendeckend mit Luxus Politik und Staat gemacht worden. Wie die Nationalsozialisten allerdings Wasser predigen und Wein trinken konnten, ohne dass die "Volksgemeinschaft" auf die Barrikaden ging, wäre einer weiteren Betrachtung wert gewesen. Der seit Mitte der 1930er-Jahre ansteigende Lebensstandard allein kann es nicht gewesen sein. Den Widerspruch zwischen propagierter Bescheidenheit und gelebtem Luxus konnte selbst ein so gerissener Rhetoriker wie Goebbels nicht auflösen.
Auch wenn d'Almeida diese Frage nicht beantwortet, dürften seine Beobachtungen zu weiteren Nachforschungen anregen. Erst wer die feinen Unterschiede zwischen den sozialen Schichten noch präziser freizulegen vermag, dürfte letztlich erklären können, was in Diktaturen Menschen gleicher macht als andere.
Hakenkreuz und Kaviar. Das mondäne Leben im Nationalsozia-lismus.
Patmos Verlag, Düsseldorf 2007; 380 S., 29,90 ¤