EU-Dienstleistungsrichtlinie
»Einheitliche Ansprechpartner« sollen durch das Dickicht der Paragrafen führen - noch gibt es Streit über das Wie
Was für ein Getöse. Monatelang trommelten die Gewerkschaften auf der Straße aus Furcht vor Lohndumping gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie. Mit Erfolg: Bei deren Verabschiedung Ende 2006 wurde festgelegt, dass anders als vorgesehen Dienstleister bei temporären Tätigkeiten in anderen EU-Staaten das dortige Tarifniveau wahren müssen. Seither aber herrscht Funkstille - obwohl es jetzt zur Sache geht.
Das Ringen um die Umsetzung der Richtlinie, die transnationale unternehmerische Aktivitäten erleichtern will, findet derzeit jenseits der Schlagzeilen statt: Um die Trägerschaft der "Einheitlichen Ansprechpartner", die als Kontaktstellen für ausländische und heimische Anbieter fungieren sollen, liegen Wirtschaftskammern sowie Städte, Gemeinden und Landkreise in einem heftigen Clinch. Es sei "naheliegend, wirtschaftsfreundlich und zudem kostengünstig, die Kommunen mit dieser Aufgabe zu betrauen", proklamieren Städtetag, Landkreistag sowie Städte- und Gemeindebund. Für Marc Evers vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sind hingegen die Kammern am Zug: "Die Kontaktstellen sollen die Sprache der Unternehmen sprechen". Die zuständigen Landesregierungen lassen bislang keine Präferenz erkennen.
Nach dem Wegfall des "Herkunftslandsprinzips" müssen Handwerker, Architekten, Software-Firmen, Ski- und Sprachlehrer, Friseure, Immobilienmakler, Reisebüros, Fremdenführer, Handelsvertreter oder Gebäudereiniger die Standards des Gastlands beachten: Tarifverträge, Arbeits- und Sozialrecht, Höchstarbeitszeiten, Mindesturlaub, Arbeitsschutz, Hygienevorschriften. Eine Reihe von Sektoren wie der Gesundheitsbereich, die Leiharbeit, Notare, Steuerberater oder der Verkehr sind von der Dienstleistungsfreiheit ausgenommen.
Bisher mühen sich manche nationalen Behörden eifrig, mit allerlei Auflagen ausländische Konkurrenz abzuwehren. So muss ein Betrieb aus dem badischen Kehl, der nebenan im elsässischen Straßburg ein Bad installieren oder eine defekte Heizung instandsetzen will, dies fünf Tage vorher bei französischen Behörden anmelden. Aber auch ohne schikanöse Extras haben ausländische Dienstleister Hindernisläufe zu absolvieren. Bei Friseuren etwa ist hierzulande der Gang zur Meldebehörde und zum Ausländeramt erforderlich, für die Notierung in der Handwerksrolle benötigt man mangels deutscher Meisterprüfung eine Ausnahmeerlaubnis, für die Gewerbeanmeldung ist eine von der Kammer ausgegebene Handwerkskarte zu beschaffen, Registrierung beim Finanzamt und manches mehr. Es wird darauf ankommen, wie effizient die "Einheitlichen Ansprechpartner" als Lotsen durch das Verwaltungs- und Paragrafendickicht agieren werden. Vorerst aber ist Streit um die Verortung dieser neuen Einrichtungen angesagt. Die Kammern von Industrie und Handel, Handwerk sowie freien Berufen sehen sich wegen fachlicher Kompetenz, Vernetzung und technischer Ausrüstung bestens geeignet. Evers: "Die Industrie- und Handelskammern haben jährlich Kontakt zu 370.000 Existenzgründern. Wir haben jahrzehntelang Erfahrungen gesammelt in der Beratung von Betrieben wie auch als Vermittlungsinstanzen zwischen Unternehmen und Verwaltung."
Die Hauptgeschäftsführer Stephan Articus (Städtetag), Hans-Günter Henneke (Landkreistag) und Gerd Landsberg (Städte- und Gemeindebund) betonen indes, die Kommunen stünden schon heute "den Unternehmen als Ansprechpartner" zur Seite und bündelten "den größten Teil der bürokratischen Prozesse im Zusammenhang mit der Aufnahme und Ausübung von Gewerbetätigkeiten". Die Beauftragung von Städten, Gemeinden und Kreisen wäre "das kostengünstigste Modell", weil die Kommunen bereits über Verwaltungskapazitäten verfügten. Eine Kooperation mit Wirtschaftskammern sei durchaus sinnvoll: "Wichtig ist nur, dass die Verantwortung in kommunaler Hand liegt." Für eine Ansiedlung der Kontaktstellen auf staatlicher Ebene macht sich auch Ver.di stark: So sei die sozial- und arbeitsrechtliche Überwachung von Unternehmen samt der Beachtung des hiesigen Gehaltsniveaus besser zu gewährleisten, da dann die "Einheitlichen Ansprechpartner" ihrerseits einer öffentlichen Kontrolle unterlägen, so Sprecher Jan Jurczyk. Minister Glos hebt hervor, dass die neuen Instanzen auch deutschen Dienstleistern zur Verfügung stehen sollen. Da hakt Evers ein: "Aufgrund ihrer bereits heute vielfältigen Beziehungen ins Ausland können die Kammern auch hiesigen Betrieben helfen, die in anderen EU-Staaten tätig werden wollen."
Der DIHK plädiert für bundesweit einheitliche Lösungen, fürchtet aber, dass es abweichende Modelle geben wird. In die Karten schauen lassen sich die Landesregierungen nicht: Berlin kündigt eine Entscheidung "in der näheren Zukunft" an. Bis Mitte Februar können in Thüringen Interessenten ihre Konzepte einreichen. Im Saarland wird das Bewerbungsverfahren momentan erst vorbereitet. Baden-Württemberg will im zweiten Quartal eine Lösung finden. Während die Wirtschaftspolitiker der CDU-Landtagsfraktion der kommunalen Variante zuneigen, plädiert FDP-Fraktionschef Ulrich Noll für die Kammern. Die Effizienz der Kontaktstellen wird auch davon abhängen, ob sie gemäß EU-Vorschrift bis Ende 2009 alle Verfahren und Formalitäten transnational elektronisch abwickeln können.