spanien
José Luis Rodríguez Zapatero hat die Parlamentswahl zum zweiten Mal gewonnen - mit kleinen Abstrichen
Bei Wahlen spielen Zahlen eine entscheidende Rolle. Doch im Fall des spanischen Wahlkampfs, der am 9. März mit dem erneuten Sieg der Sozialisten zu Ende ging, war die erstaunlichste Zahl womöglich weder ein Prozentsatz noch die Anzahl von Sitzen oder Stimmen, sondern die Summe von Vereinbarungen zwischen den Präsidentschaftskandidaten José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) und Mariano Rajoy (Partido Popular, PP). Für die zwei Fernsehdebatten, die beide Anwärter vor der Wahl verabredet hatten, mussten insgesamt 50 Bedingungen vorher vertraglich festgelegt werden - von der genauen Wattstärke der Studiobeleuchtung über die Höhe der Stuhllehnen, von Brennweiten und Winkeln möglicher Kamerapositionen bis hin zur genauen Dauer der jeweiligen Redebeiträge. Die korrekte Portionierung der 41 Minuten, die jedem der Kandidaten zugesprochen waren, überwachten erfahrene Zeitnehmer vom Basketball.
Die Partido Popular hat die Wahl verloren. Trotzdem fällt es schwer, darin eine Quittung für etwaiges Fehlverhalten in der jüngeren Zeit zu sehen. Denn in absoluten Zahlen hat die PP zehnmal mehr Stimmen hinzugewonnen als die PSOE (400.000 gegen 38.000). Während sich das Ergebnis der Sozialisten nur um einen Prozentpunkt (auf 43,64) verbesserte, wuchs der PP-Anteil um zweieinhalb Prozent (auf 40,11). Der Stimmenzuwachs beider großer Parteien macht Spanien mehr denn je zu einem Zwei-Parteien-Staat. Die nach Wählerstimmen drittstärkste Kraft, das Links-Grüne-Bündnis IU, verliert mit weniger als vier Prozent den Fraktionsstatus und wird nun gemeinsam mit anderen Versprengten in der Grupo Mixto ein Schattendasein führen. Aufgrund ihrer starken regionalen Repräsentation konnten dagegen sowohl die katalanischen (CiU) als auch die baskischen Nationalisten (PNV) ihre jeweilige Fraktion erhalten. Sie werden einmal mehr eine wichtige Rolle als Mehrheitsbeschaffer spielen.
Zapatero hat die absolute Mehrheit im 350 Sitze starken Parlament um sieben Sitze verfehlt. Wahrscheinlich wird er keine formelle Koalition anstreben, sondern wie bisher mit einer rein sozialistischen Mannschaft und mithilfe wechselnder Bündnisse und punktueller Zugeständnisse regieren. Jeder klare Pakt mit einer der nationalistischen Parteien wäre zudem eine bittere Ironie. Denn Zapatero verdankt seinen Sieg zu einem Gutteil den baskischen und katalanischen Sozialisten. Bei einem erklärten Bündnis mit CiU oder PNV würde der Präsident also gemeinsame Sache mit den Gegnern seiner besten Wahlkämpfer machen. Außerdem hat sich die Minderheitsregierung bisher bewährt. Denn sämtliche Parteien stehen - wenngleich aus unterschiedlichen Gründen - im Zweifelsfall der PSOE näher als der Partido Popular.
Fast wichtiger als die Koalitionsfrage dürfte Zapatero freilich die Besserung des extrem gespannten Verhältnisses zum zentralen politischen Kontrahenten sein. Momentan sieht es aus, als würde dieser weiterhin Mariano Rajoy heißen. Rajoy jedenfalls hat seine zweite Niederlage nach 2004 nicht zum Anlass für den Rücktritt von der Parteispitze genommen. Nach eineinhalb Tagen Bedenkzeit, in denen mancher Parteifreund im Stillen von einem Neuanfang träumte, kündigte er dem PP-Präsidium seinen entschiedenen Willen zur erneuten Kandidatur 2012 an. Das bedeutet jedoch nicht notwendig die Kontinuität des bisherigen frontalen Konfrontationskurses gegen die Regierung. Inwieweit diese sich überhaupt Rajoys ausdrücklicher Initiative verdankt hat, ist ohnehin eine ewig offene Frage. Nie ist Rajoy den Ruf losgeworden, eine Art Hardliner gegen das eigene Naturell zu sein - den strengen Leitlinien seines einstigen Förderers José María Aznar auch dort treu, wo sein Instinkt ihn eher zur Mäßigung anstiften würde. In der leicht linkischen Art, mit der er in der Wahlnacht - vom Balkon der Parteizentrale herab - das Eingeständnis der Niederlage zu umgehen versuchte, während ihm zugleich die eiserne Euphorie seiner fahnenschwenkenden Anhänger unpassend erschien, war abermals dieses Dilemma abgebildet: Vor den Seinen musste er den unerschrockenen Kämpfer geben, obwohl er wohl gern etwas nachgiebiger gewesen wäre - diesmal gegenüber der eigenen Enttäuschung.
Es bleibt abzuwarten, ob Rajoy die Partido Popular in der bevorstehenden Legislatur zu einer verbindlicheren Form von Opposition bringen und sie wieder zu einem verantwortlichen Player auf dem demokratischen Spielfeld machen kann. Dazu wäre eine tiefgreifende Selbstkritik der Führungsriege nötig. Denn in der gegenwärtigen Verfassung ist die PP kaum mit anderen modernen konservativen Parteien wie den britischen Tories oder der CDU zu vergleichen.
Nur selten hat sie sich die Mühe gemacht, Zapateros Initiativen eigene Konzepte oder Ideen entgegenzusetzen. Stattdessen bediente sie sich demagogischer Strategien, wo immer sie glaubte, daraus politisches Kapital schlagen zu können. Im Prozess gegen die Urheber des Anschlags vom 11. März 2004 nährte die Parteiführung lange eine Verschwörungstheorie, bloß um von früheren eigenen Versäumnissen im Umgang mit dem Attentat abzulenken. Sie warf Zapatero wider besseres Wisen vor, sich an die ETA verkauft und die Opfer der baskischen Terroristen verhöhnt zu haben. Im Parlament verstießen PP-Abgeordnete regelmäßig gegen die Regeln des Anstands, sodass der Parlamentspräsident irgendwann verbittert das Handtuch warf. Als Alternative zur parlamentarischen Debatte entdeckte die PP die Straße: Auf einer Unzahl von Demonstrationen versuchten Parteiführer den Eindruck zu erwecken, als helfe gegen Zapateros heillose Politik nur noch ein Proteststurm aus der Mitte des Volkes.
Institutionen wie dem Verfassungsgericht sind seit langem die Hände gebunden, weil die PP bei Neubesetzungen auf Sympathisanten besteht. Außerdem hat die Partei leichtfertig das Vertrauen in die Gewaltenteilung untergraben, indem sie die Regierung mehrfach für Gerichtsbeschlüsse oder Strafregelungen veranwortlich machte, die eindeutig nicht in ihrer Kompetenz lagen. Womöglich wird später einmal, im Rückblick auf die politischen Verwerfungen der vergangenen Legislatur, das fatale Abrutschen der Opposition ein signifikanteres Kapitel sein als der Antritt von Zapatero.
Was Präsident und Gegenspieler von Anfang an gemein hatten, war fehlendes Charisma. Zapatero hat dieses Manko allerdings mit der Zeit wettgemacht durch eine Art geraden Glauben an bessere Politik, segensreiche Gesetze und die Vernunft. Die ehrliche Erschütterung, mit der er in den TV-Duellen einige tief zielende Beschuldigungen von Rajoy aufzunehmen schien, wirkte fast rührend in ihrer unverstellten Menschlichkeit. Mitunter ermöglichte ihm sein Charakter aber auch ein sehr entschiedenes, beinahe kühnes Vorgehen, so beim Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak oder bei der Einführung der Homosexuellen-Ehe. Andererseits verleitete ihn die eigene Zuversicht zum unglücklichen Vorauspreschen. Sowohl bei der Neuverhandlung des katalanischen Autonomie-Statuts als auch beim Sondieren einer Übereinkunft mit der ETA verbrannte sich Zapatero durch Ungeschick die Finger. In anderen Fällen ging er bewusst auf die Gegenseite zu - und kam doch dem erhofften Konsens kein Stück näher.
Der katholischen Kirche etwa garantierte er ein sehr günstiges Finanzierungssystem mit staatlichen Beihilfen. Trotzdem protestierten Spaniens Bischöfe regelmäßig gegen die Regierung und bezichtigten Zapatero, den Untergang der christlichen Familie zu betreiben, nicht nur der Homosexuellen-Ehe wegen, sondern auch wegen einer längst überfälligen Liberalisierung des Scheidungsrechts. Für ein Gesetz zur ordentlichen Entschädigung und Identifikation von Opfern aus Bürgerkrieg und Franco-Zeit bemühte sich Zapatero ausdrücklich ums Einvernehmen mit der PP. Diese aber witterte Revanchismus und warf dem Regierungschef vor, längst verheilte Wunden mutwillig wieder aufreißen zu wollen.
Das soziale Gewissen der PSOE war zwar vielen Maßnahmen der Legislatur anzumerken. Trotzdem harren manche Bereiche nach wie vor einer Modernisierung. Das öffentliche Gesundheitssystem mit seinen unerträglich langen Wartezeiten ist ebenso marode wie das staatliche Schulwesen mit einer Sitzenbleiber-Quote von 30 Prozent. Beide Komplexe sind bisher von Zapatero vernachlässigt worden. Auch für eine effektive Umweltpolitik hat er wenig getan. Überhaupt scheinen globale Herausforderungen nicht seine Stärke. Weder in der EU noch in der Außenpolitik allgemein sind von Spanien zuletzt bemerkenswerte Impulse ausgegangen. Und mit seiner Idee einer "Allianz der Zivilisationen" hat Zapatero im Grunde nur eine weitere hübsche Worthülse geschaffen.
Als erste Priorität der kommenden Legislaturperiode ist bereits eine andere "Allianz" ins Auge gefasst. Direkt nach seiner Amtseinsetzung im April will Zapatero Gewerkschaften und Unternehmer für einen "Pakt gegen den Abschwung" zusammenrufen. Denn Spanien hat, nach Jahren außerordentlichen Wachstums, nicht nur mit den globalen Krisensymptomen zu kämpfen. Der Immobilienmarkt und die Baubranche, Motoren des nationalen Wirtschaftsbooms, sind eingebrochen und verursachen eine steigende Arbeitslosigkeit.
Ein "Pakt gegen den Abschwung", das klingt wie eine Idee auf halbem Weg zwischen gut und gutgläubig - wie eine typische Zapatero-Idee. Sie könnte ein gefundenes Fressen sein für eine Breitseite von der Partido Popular. Vorausgesetzt, die Opposition nähme endlich Abstand vom aufgepeitschten Jargon der Apokalypse und fokussierte ihre Kritik auf die konkreten Schwächen der Regierung.