MILCHQUOTE
Die EU-Agrarminister entscheiden diese Woche, ob mehr produziert werden darf als bisher
Den ersten Termin am Vormittag muss Bernd Voss verschieben. "Eine Kuh ist nicht gut drauf", entschuldigt sich der Milchbauer telefonisch. Er will die Diagnose des Tierarztes abwarten.
Einige Stunden später führt Bernd Voß die fünfköpfige Delegation von Bauernvertretern aus Asien und Afrika über seinen Milchbetrieb im schleswig-holsteinischen Diekdorf. Im Stall zeigt er auf die Patientin. "Sie brachte nicht die normale Leistung und hatte leichte Untertemperatur", erzählt der 53-Jährige. Bernd Voß bewirtschaftet seinen Betrieb mit 80 Milchkühen, 130 Jungrindern und 150 Hektar Land größtenteils allein. In Spitzenzeiten helfen zwei landwirtschaftliche Helfer. Sie sind in Teilzeit angestellt. Sohn David ist Zivi im Nachbarort, doch wenn Not am Mann ist, springt er ein.
"Kühe binden einen sehr", sagt Bernd Voß, dennoch endet sein Engagement nicht am Gartenzaun. Im Gegenteil: Vier Jahre lang war der Agraringenieur Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschusses der Europäischen Union und fuhr mehrmals im Monat nach Brüssel. Nun wird er als Experte für den Health-Check in die Sitzungen des Ausschusses geladen.
Diesen Gesundheitscheck der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hat Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel für das laufende Jahr angekündigt, um die vor fünf Jahren verabschiedete Agrarreform zu überprüfen. Darüber wird Bernd Voß seinen ausländischen Gästen später berichten.
Doch zunächst geht es in den Melkstand. Der ist zwar schon 19 Jahre alt, aber Bernd Voß ist mit der Leistung vollauf zufrieden. "Es ist wichtig, dass ich die Arbeit ohne Hilfe erledigen kann", sagt er. Um seine roten und schwarzen Holsteiner zu melken, braucht er morgens und abends je anderthalb Stunden. Durchschnittlich 1.700 Liter Milch liefert er Tag für Tag an die genossenschaftlich organisierte Molkerei. Dort sitzt er im Aufsichtsrat und versucht auch hier, die Interessen seiner Kollegen zu vertreten. Doch auch die Genossenschaftsmolkerei arbeitet nach marktwirtschaftlichen Kriterien. Nach einem viermonatigen Höhenflug von 47 Cent für den Liter Milch im vergangenen Herbst zahlt sie ihren Zulieferern derzeit nur noch 33 Cent. "Was letztes Jahr passiert ist, war ein Unfall der EU-Marktpolitik", sagt Voß schmunzelnd.
Die Lagerbestände der EU waren aufgebraucht und die europäischen Bauern hatten ein Prozent weniger Milch erzeugt. Dadurch war das Angebot auf dem Weltmarkt gesunken. "Auch Skeptiker mussten einsehen, dass 40 Cent möglich sind!", kommt Bernd Voß nun in Fahrt. "Zum ersten Mal waren die Produktionskosten gedeckt."
Verglichen mit den Nachbarländern Dänemark oder Frankreich, wo bis zu zehn Cent weniger an die Bauern ausgezahlt wurden, war dies ein Rekord. In Deutschland gibt es mehr Molkereien, da war die Konkurrenz größer. Nach Ansicht von Bernd Voß kann der Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM) einen Teil der Lorbeeren für sich beanspruchen. "Der BDM vertritt die Interessen der großen und kleinen Milchbauern und übt Druck auf die Molkereien aus. Die Ankündigung des Lieferstreiks stand bereits. Deshalb mussten sie die Preissteigerungen an uns weitergeben", sagt Bernd Voss. Der vor zehn Jahren gegründete Branchenverband vertritt mittlerweile ein Drittel aller Milchbauern, die die Hälfte der deutschen Milch erzeugen. In den Jahren zuvor war der Milchpreis kontinuierlich gesunken, zugleich hatte sich die Anzahl der Betriebe seit 1995 auf 100.000 halbiert. Aufgeben mussten vor allem kleinere Betriebe mit bis zu 50 Tieren, in der Regel Familienbetriebe.
Die im Jahr 2015 auslaufende Milchquote möchte die Europäische Kommission durch eine so genannte "sanfte Landung" abfedern. Dafür soll die Quote schrittweise angehoben werden. Die erste Aufstockung um zwei Prozent ist bereits für den 1. April angekündigt. "Bei der Maßnahme geht es lediglich darum, die Milchmenge zu erhöhen, um den Preis zu drücken", regt sich Voß auf. "Damit werden innerhalb kurzer Zeit viele kleinere und mittlere Landwirte ihre Arbeitsplätze verlieren."
Zudem befürchtet der Bauer, dass dann erneut große Mengen Milch unter Produktionskosten auf dem Weltmarkt abgesetzt und so die Existenzen vieler Kleinbauern weltweit zerstört werden. Das erklärt er auch seinen Gästen aus Ländern wie Kenia oder Bangladesch, in denen die einheimische Milchproduktion durch billige EU-Importe stark gefährdet ist.
Eigentlich müsste Voß investieren. Ein heikles Thema, dass er und viele seiner Kollegen derzeit angesichts einer unsicheren Einkommensentwicklung nicht angehen. Eine andere Situation zeigt sich auf dem Hof von Jürgen Sievers in Stafstedt, etwa eine Autostunde entfernt. Mit 350 Milchkühen ist der Betrieb einer der größten in Schleswig-Holstein. Der Seniorchef und sein Sohn beschäftigen vier Angestellte und drei Lehrlinge. Hier stehen die Zeichen auf Investitionen und Wachstum. "Wir wollen auf 500 Kühe rauf", sagt Jürgen Sievers. Trotz hoher Lohnkosten hat er einen weiteren Agraringenieur eingestellt. So will er den Betrieb für den bis 2015 liberalisierten Milchmarkt konkurrenzfähig machen. David Voß jedoch schmiedet andere Pläne. "Bei den Verdienstmöglichkeiten ist es nicht mehr attraktiv, 365 Tage im Jahr mit den Kühen zu arbeiten", sagt er. Auf dem Voß-Hof wird dann wohl eher ein anderer melken.