SPD
Was in Rheinland-Pfalz läuft, funktioniert in Berlin nicht - das »System Beck«
Ein Frühlingstag im März 2004: Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, besucht einen kleinen Keramikbetrieb in Bad Ems. "Hier geht es ja zu wie in einer Backstube", ruft Beck, als er in der Produktionshalle steht. Der Ministerpräsident schüttelt Hände, folgt interessiert den Ausführungen des Geschäftsführers. Es ist einer dieser Termine, die Beck gern mag: Nah bei den Leuten, kein Protokoll, kein Rudel von Journalisten im Schlepptau. An solchen Tagen kann der Pfälzer seine Stärken ausspielen. Er kennt fast jeden beim Namen, fragt nach dem Befinden und wirkt beinahe wie einer von den Arbeitern in dem Familienbetrieb. Beck ist als Führungsfigur unumstritten, und volksnah ist er auch: Die Leute mögen ihn, das Kabinett spurt, die Landes-SPD steht hinter ihm bis zum kleinsten Ortsverein. Als Matthias Platzeck im Frühjahr 2006 vom Amt des Bundesvorsitzenden der SPD zurücktrat, schien es eine logische Entscheidung, dass Beck den Parteivorsitz übernahm.
Doch in Berlin funktioniert nicht, was in Mainz seit vielen Jahren reibungslos läuft. In Rheinland-Pfalz ist er "König Kurt", wird von Karikaturisten mit Krone und Hermelin gezeichnet. Beck kann darüber schmunzeln. Kurz nach seiner Amtsübernahme wird er außerhalb der Heimat von Journalisten bereits als "Provinzkanzler" veralbert. Der Spott bekommt einen schärferen Ton. Als die Linkspartei die Sozialdemokraten und ihren Chef im März 2008 in die Enge treibt, nutzt eine Riege von Stellvertretern scheinbar jede Gelegenheit, um ihren Bundesvorsitzenden in Frage zu stellen.
So etwas ist Kurt Beck nicht gewöhnt, so etwas gibt es in Rheinland-Pfalz nicht. Wer in der Landes-SPD nach Beck fragt, findet keine kritischen Stimmen. Die Genossen sind auf Geschlossenheit getrimmt, seit Jahrzehnten.
Zum Beispiel Roger Lewentz. Er ist heute Staatssekretär im rheinland-pfälzischen Innenministerium, war zuvor lange Jahre Generalsekretär der Landes-SPD und wird von Beck selbst als "Freund" bezeichnet. Lewentz ist einer der Politiker, die ihre Karriere Beck verdanken. "In Rheinland-Pfalz gibt es eine Reihe von Menschen, denen Kurt Beck blind vertraut", sagt er und kann sich selbst dazu zählen. Beck schaue sich Leute lange an und baue sie dann auf. "Wir kennen und vertrauen uns", beschreibt Lewentz die Stimmung in Kabinett und Partei. "In Berlin ist das sehr schwierig", bedauert er. Da habe die Zeit gefehlt, um ein solches System aufzubauen. "Das ist ein Idealbild, was wir in Rheinland-Pfalz haben", räumt er ein. Trotzdem: "Ein Teil dieser Loyalität ist auch in Berlin nötig."
Wenn Lewentz die Arbeitsweise seines Ministerpräsidenten beschreibt, tut er das mit viel Respekt. Seit 17 Jahren sei Beck jetzt zum ersten Mal richtig krank gewesen. "Er hat eine unglaubliche Konstitution", sagt Lewentz. Die Bevölkerung in Rheinland-Pfalz sei sein Resonanzboden, um Politik zu definieren. Für Lewentz ist Beck ein verlässlicher Chef: "Er ist derjenige, der den Druck ins System bringt." Nur so könne das Kabinett erfolgreich arbeiten.
Wie Kurt Beck kommt der Landtagsabgeordnete Alexander Schweitzer aus dem Wahlkreis 49, südliche Weinstraße. Der heute 34-Jährige wurde 2006 erstmals in den Landtag gewählt - damals, als die SPD in Rheinland-Pfalz die absolute Mehrheit holte. Schweitzer kennt Beck und seine Heimatregion mit ihren Menschen. "Kurt kommuniziert mit allen auf Augenhöhe, vom Hausmeister in der Staatskanzlei bis zum hochrangigen Staatsgast", lobt der SPD-Abgeordnete. Er weiß aber auch, dass mit Beck nicht immer gut Kirschen essen ist. Nach innen könne er sehr deutliche und manchmal laute Worte finden. Zur jetzigen Diskussion hat Schweitzer nur drei Sätze übrig: "Mir tut Kurt Beck nicht leid. Ich bedaure die, die während seiner Krankheit die Klappe zu weit aufgerissen haben. Sie müssen sich jetzt mit ihm auseinandersetzen."
Selbst die politischen Kontrahenten im Land zollen Beck Respekt. Etwa der FDP-Politiker Hans-Artur Bauckhage. Er bezeichnet Beck als führungsstark und kooperativ. Bauckhage muss es wissen: Er war von 1998 bis 2006 in der sozial-liberalen Koalition in Mainz Wirtschaftsminister und seit 1999 stellvertretender Ministerpräsident unter Kurt Beck. "Er ist ein Intuitionspolitiker", sagt Bauckhage über Beck. Diese Intuition habe der SPD-Chef vor der Hamburg-Wahl aber verloren. "Beck wollte sich taktisch verhalten und das ist schief gegangen", bewertet der FDP-Mann. In Rheinland-Pfalz habe sich der Ministerpräsident immer an Absprachen gehalten und sei Kompromisse eingegangen.
Geschätzt im eigenen Land, kritisiert auf Bundesebene - was macht Beck in Rheinland-Pfalz richtig, was er in Berlin so falsch macht? Der Politologe Ulrich Sarcinelli von der Universität Koblenz-Landau hat dazu eine These: Becks Stil sei nicht einfach auf den Bund übertragbar. Die Ortsbürgermeisterpolitik funktioniere dort "rein physisch nicht". In Rheinland-Pfalz habe der Ministerpräsident permanent über Bekanntschaften persönliche Loyalität geschaffen. Der eher moderate und konservative Landesverband der Sozialdemokraten habe diese Mechanismen seit Jahrzehnten eingeübt und die Flügel seien sehr stark gezähmt. "Natürlich wird bei einem Bundesvorsitzenden Führungsstärke angemahnt", so Sarcinelli. Doch die jetzige Diskussion in der SPD sei wichtig, eine Debatte, die der frühere SPD-Chef Gerhard Schröder lange Zeit unterdrückt habe. Daran zeige sich auch, dass für den "Konsenspolitiker" Beck der Bund ein anderes Spielfeld sei als das Land. Die Reden des Ministerpräsidenten seien besonders geprägt von Begriffen wie "vernünftig", "fair", "Augenmaß" oder "Dialog". Beck sei stets auf der Suche nach Ausgewogenheit und wolle Frontenbildung vermeiden. Das mache ihn jedenfalls in Rheinland-Pfalz für die Opposition schwer angreifbar.
Beck tritt in Berlin nach zwei Wochen medialer Abstinenz vor die Bundespressekonferenz: Dutzende Kameramänner und Fotografen umlagern ihn. Seine Stimme ist noch schwach von einer Mandelentzündung. Er dementiert Gerüchte um eine gegen ihn gerichtete Absprache zwischen seinen Stellvertretern Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. "Ein solches Zerwürfnis gibt es nicht", sagt Beck fest. Er baut auf etwas, das er daheim längst hat: Loyalität. Marco Pecht z