DRESDEN
Der Brücken-Streit geht in die nächste Runde
Sie ist noch nicht gebaut, kann aber mit Fug und Recht als das derzeit bedeutendste Dresdner Bauwerk bezeichnet werden: die Waldschlösschenbrücke. Seit 1876 gibt es Pläne für eine Elbquerung, die den Dresdner Osten und Norden verbinden soll - und seit dieser Zeit gibt es Streit, der nun in eine weitere Runde geht: Nachdem die Unesco im März mitteilte, sie werde den 2004 für das Elbtal verliehenen Weltkulturerbe-Titel aberkennen, wenn eine Brücke gebaut werde, und stattdessen den Bau eines Tunnels empfahl, bekriegen sich Brückenbefürworter und -gegner heftiger denn je.
Beide Seiten werfen einander ideologische Verbohrtheit vor. Doch während die Tunnelbefürworter ihren Forderungen gerade erst in einer Demonstration mit 15.000 Teilnehmern Luft gemacht und mehr als 40.000 Unterschriften gesammelt haben, um ein Bürgerbegehren für einen Tunnel durchführen zu können, spielen die Brückenbefürworter auf Zeit. Die Bauarbeiten für die Waldschlösschenbrücke haben im November 2007 begonnen und bislang rund 35 Millionen Euro für Planung, Ausbau von Zufahrstraßen und erste Baumaßnahmen am Elbufer gekostet - und mit jedem Tag wird mehr Geld ausgegeben. Das schafft Fakten.
Zudem sorgt der Brückenbau zwar bei der Unesco für Verärgerung, ist aber Bürgerwille: Bei einem Bürgerentscheid 2005 votierten fast 68 Prozent - bei einer Beteiligung von rund 50 Prozent der Wahlberechtigten - dafür. Freilich ohne zu ahnen, dass dieses Votum dafür sorgen würde, dass das Elbtal von der Unesco im Juli 2006 auf die rote Liste gefährdeter Welterbestätten gesetzt werden würde. Dies ist ein Argument derjenigen, die für den Tunnel kämpfen: Sie glauben, der damalige Bürgerentscheid wäre anders ausgefallen, hätten die Dresdner seine Folgen gekannt. Deshalb sollen die nun noch einmal darüber abstimmen, ob sie einen Tunnel wollen - und den Welterbetitel.
Die Kontroverse rund um die Waldschlösschenbrücke ist längst keine Debatte mehr darum, ob man die beiden Elbufer unter- oder überirdisch oder vielleicht auch gar nicht miteinander verbinden sollte. Es geht im Kern auch darum, was ein Welterbetitel für eine Stadt und letztlich auch die Bundesrepublik bedeutet und um welchen Preis er erhalten bleiben soll. Die Unesco verleiht den Titel an Stätten oder Güter von "außergewöhnlicher Schönheit" und großer kultureller Bedeutung. Die Staaten, die der 1972 verabschiedeten Unesco-Konvention beigetreten sind, verpflichten sich, das auf ihrem Gebiet befindliche Welterbe selbst zu erfassen, zu schützen und zu erhalten. Außerdem sichern sie sich internationale Zusammenarbeit zu, um diese Aufgaben zu erfüllen. Bislang kam es erst einmal zur einzigen Sanktionsmöglichkeit: Als das arabische Sultanat Oman 2007 die Fläche des Naturschutzgebietes um 90 Prozent verkleinerte, in der die letzten Oryx-Antilopen leben, entzog die Unesco den Welterbetitel wieder.
Für Monika Griefahn, SPD-Bundestagsabgeordnete, und Martin Dulig, SPD-Fraktionsvorsitzender im Sächsischen Landtag, wäre eine Aberkennung des Dresdner Titels "eine Blamage". Es sei auch "eine Frage der völkerrechtlichen Zusammenarbeit", so Griefahn, wie man mit dem drohenden Verlust des Titels umgehe. "Die Unesco-Konvention, der Deutschland beigetreten ist, ist ja ein internationaler Vertrag." Ganz sicher werde die Kommission weitere deutsche Bewerbungen um Welterbetitel künftig "mit spitzen Fingern anfassen", wenn Dresden seinen Titel aufs Spiel setze. Dass die Unesco den Titel vergeben habe, obwohl die Brückenplanungen bereits in den Antragsunterlagen enthalten waren, liege daran, "dass die Zeichnungen mit den Plänen nicht übereingestimmt haben", erklärt Martin Dulig. Es sei traurig, dass die Brückenbefürworter so "stur" seien und den vorgeschlagenen Brückenkompromiss nicht akzeptieren wollten. "Dabei hat sich die Unesco damit auf Dresden zubewegt."
Das sieht der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel anders. Die Unesco sollte ihre eigenen Entscheidungen überprüfen, man "kann doch nicht im Laufe eines Verfahrens dreimal die Meinung ändern". Die Kommission sei beeinflusst von "Leuten, die nie eine Brücke wollten. Der Verlust des Titels "würde für Dresden nichts ändern. Die Frauenkirche bleibt, der schöne Blick in das Elbtal bleibt und die Touristen kommen auch."
Für das Regierungspräsidium Dresden ist der vorgeschlagene Tunnel kein Kompromiss, sondern eine finanzielle Zumutung. Mit insgesamt 157 Millionen Euro ist das Brückenprojekt veranschlagt, 60 Millionen Euro mehr würde ein Tunnel kosten. "Es ist ein Gerücht, dass der bisherige Bau ohne größere wirtschaftliche oder zeitliche Verluste in einen Tunnelbau umgewandelt werden könnte", sagt Hom Felber, Sprecher des Regierungspräsidiums. Ob der Bund in die Bresche springen würde, ist unter den Beteiligten umstritten. Während Monika Griefahn versichert, es gebe ein "persönliches Angebot" von Minister Wolfgang Tiefensee (SPD), sich an den Mehrkosten zu beteiligen, teilt die Sprecherin des Verkehrsministeriums Sabine Mehwald mit, der Bund "übernimmt nicht die Mehrkosten im Falle eines Tunnelbaus; der Freistaat Sachsen kann vielmehr auch für eine Tunnellösung und etwaige damit verbundene Mehrkosten die Kompensationsmittel verwenden, die er aus dem Bundeshaushalt erhält".
Ob es ein Bürgerbegehren für einen Tunnel geben wird, wird der Stadtrat am 10. April entscheiden. Das ist das Ergebnis einer Sitzung vom 12. März, mit knapper Mehrheit nach einer hitzigen, mehrstündigen Debatte beschlossen. Die CDU scheiterte mit einem Antrag, sich nicht auf ein Datum festlegen zu wollen. Der amtierende Oberbürgermeister Lutz Vogel (parteilos) vermied indes eine feste Zusage, ob bis zum 10. April die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt werden kann. Er sicherte jedoch zu, dass sich die Stadtverwaltung um eine unverzügliche Bearbeitung der Angelegenheit bemühe. Das Dresdner Regierungspräsidium will eine erneute Abstimmung verhindern. Sie wirft den Initiatoren vor, auf den Unterschriftenlisten und den dazugehörigen Infoblättern, die derzeit in allen Dresdner Briefkästen zu finden sind, die Bürger mit unwahren Behauptungen in die Irre zu führen. Anders als im Material dargestellt, sei die Realisierbarkeit der Tunnelvariante im Planfeststellungsverfahren nicht belegt worden. "Das ist schlicht gelogen", so Felber. Das Regierungspräsidium prüfe deshalb, ob das Bürgerbegehren überhaupt "rechtskonform" sei. Prinzipiell sind rund 20 000 gültige Unterschriften für einen Bürger- entscheid nötig.
Der Streit geht also munter weiter und er wird noch mindestens bis Juli dauern. Dann will die Unesco endgültig über eine Aberkennung des Titels entscheiden. Eine Brücke gibt es auch dann noch nicht - aber die Querelen darüber gehen in das 133. Jahr. Susanne Kailitz