KINO
Der Film war das stärkste Kommunikationsmittel des 20. Jahrhunderts. Einheitliche Standards zur Archivierung gibt es aber nicht. Politiker aller Fraktionen fordern jetzt Änderungen
Die meterhohen Säulen sind leuchtende Geschichte - Filmgeschichte. Auf der einen sticht dem Betrachter ein strahlend rotes M auf einer überdimensionalen, faltigen Hand entgegen. Auf der anderen sind historische Aufnahmen ausgestellt: Fotos, entstanden bei der von SA- und NSDAP-Mitgliedern gestörten deutschen Erstaufführung des Anti-Kriegsfilms "Im Westen nichts Neues" im Jahr 1930. Weiter hinten läuft ein Film, Probeaufnahmen von Marlene Dietrich, auf einem Klavier sitzend, den Rock lasziv über die Knie hochgezogen.
Hier, im Museum für Film und Fernsehen in Berlin, wird deutlich, wie sehr das 20. Jahrhundert vom Film geprägt wurde: Da hängen nicht nur Plakate von Fritz Langs "M - eine Stadt sucht ihren Mörder" oder "Der Blaue Engel" mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle. Da liegt auch das Programmheft zu "Hitlerjunge Quex", einem Propagandafilm der Nationalsozialisten. In einem anderen Raum finden sich Szenenfotos aus "Die Sünderin", einem Film, der 1951 die Öffentlichkeit mit Tabuthemen wie Prostitution und Selbstmord schockte.
Dennoch: Der Film wurde als Kommunikationsmittel lange Zeit unterschätzt. Als Ergebnis hat die Archivierungsrate in großen deutschen Archiven seit der Nachkriegszeit von gut 90 Prozent in den 1950er- und 1960er-Jahren auf 47 Prozent im Jahr 1995 abgenommen. Darauf ist jetzt auch die Politik aufmerksam geworden. Abgeordnete von Union, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen wollen den Zustand ändern. In einem auf Initiative der Grünen ausgearbeiteten Antrag ( 16/8504) fordern sie vor allem bessere Schutzmaßnahmen für die Archivierung von Filmen durch Bund und Länder. Alle Redner betonten in einer Debatte am 13. März den Wert des Films als kulturelles Erbe. "Ein Land, das seine Filme verliert, verliert seine Identität", sagte Wolfgang Börnsen, kulturpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Deswegen plädierte er für eine "Hinterlegungspflicht" von neu produzierten Filmen.
Grünen-Chefin Claudia Roth erinnerte daran, dass es heute erhebliche Lücken im Filmarchiv gebe. Daher solle eine nationale Filmografie zur Dokumentation der umfangreichen Filmproduktion aufgebaut werden, die Grundlage für eine systematische Suche nach verschollenen Filmen sein könne. Claudia Winterstein (FDP) forderte ebenfalls verbesserte Standards für die Sammlung der Werke. "Die bisherige Archivierung ist ungenügend." Außerdem müsse geklärt werden, nach welchen Maßstäben archiviert werden solle. "Eine allzu umfängliche Archivierung ist nicht finanzierbar", sagte Winterstein. Für eine geregelte Sammlung aller Arten von Kinofilmen sprach sich auch Lothar Bisky (Die Linke) aus. "Selbst kommerzielle Filme sind Dokumente der Zeitgeschichte, auch wenn sie später vielleicht nur als Anschauungsmaterial für schlechte Beispiele dienen sollten", meinte Bisky. Angelika Krüger-Leißner (SPD) sprach sich zudem dafür aus, historisches Filmmaterial auf digitale Datenträger zu speichern.
Mit dem 2004 verabschiedeten Filmförderungsgesetz wurde festgelegt, dass Produzenten von jedem vom Bund geförderten Kinofilm eine Kopie an den Staat abzugeben haben. Doch nicht jeder Film wird vom Bund gefördert. Und: Erhält die Produktion mehr Fördermittel von einem Land als vom Bund, kann der Produzent seine Kopie auch beim Land einreichen. Die Standards zur Archivierung sind je nach Bundesland aber sehr unterschiedlich. "Für eine langfristige Aufbewahrung von Filmen ist das Originalnegativ das Optimum", erklärt Karl Gries, Leiter der Abteilung Film des Bundesarchives. Seine knapp 80 Mitarbeiter horten fast 150.000 Filme. Da manche Förderanstalt der Länder aber Kopien statt Originale oder gar DVDs akzeptiere, sei nicht überall eine langfristige Aufbewahrung gewährleistet. "Keiner weiß, wie lange eine DVD hält. Außerdem ändern sich die Standards von Hard- und Software ständig. Wir haben also keine Sicherheit, dass eine DVD von 2008 auch noch 2048 abgespielt werden kann." Abgesehen davon ist die Restaurierung alter Filme aufwendig und die Lagerung schwierig, was eine besondere Ausstattung der Archive nötig macht. Chemische Bestandteile der Filmrollen reagieren mit Partikeln der Luft, die Rollen schrumpfen und zerfallen. In den Räumen müssen deswegen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und -zirkulation ständig kontrolliert werden. Das aber kann nicht jedes Archiv leisten, denn die Kosten sind hoch.
Vor allem plädiert Gries für eine Meldepflicht. "Es weiß kein Mensch präzise, wie viele Filme in Deutschland produziert werden - und wir reden hier nur von Filmen, die für eine öffentliche Vorführung bestimmt sind, nicht von Amateur- und Fernsehfilmen." Wenn es eine Liste mit allen Werken gäbe, könnten Archivare auswählen, welche sie aufbewahren. Denn, so Gries, "alle Filme können wir nicht aufbewahren". Ein Großteil der Filmwirtschaft teile seine Meinung. 2007 machte das Bundesarchiv eine Umfrage, bei der sich "die überwiegende Mehrheit" der Wirtschaftsvertreter für eine zentrale Sammelstelle und sogar eine Meldepflicht ausgesprochen habe, erzählt Gries.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), hat unterdessen eine Gesetzesinitiative zur generellen Pflichtabgabe von Filmkopien angekündigt. Das Problem könnte noch in diesem Jahr im Bundesarchivgesetz geregelt werden - sogar ohne Zustimmung der Länder.