Biografie
Gerd Langguth korrigiert seine Analyse und prophezeit der Kanzlerin eine lange Regierungszeit
Angela Merkel hat es wieder einmal geschafft. Anfang Februar wurde eine Nachbildung von ihr im berühmten Londoner Wachsfigurenkabinett enthüllt - eine Ehre, die vor der Bundeskanzlerin erst vier Politikerinnen überhaupt zuteil wurde. Kleiner Haken dabei: Das Wachsdouble bei Madame Tussauds sieht der "echten" Merkel nur bedingt ähnlich. Die laut US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" "mächtigste Frau der Welt" als Gesamtphänomen wirklich zu erfassen - das fällt offensichtlich nicht nur den politischen Beobachtern schwer.
Einer, der genau das schon vor zweieinhalb Jahren versucht hat, ist der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete legte im August 2005 eine Biografie der Polit-Quereinsteigerin aus dem Osten vor, die wenige Monate zuvor zur Kanzlerkandidatin der Union gekürt worden war. Rund 140 Gespräche mit früheren Klassenkameraden, Lehrern und Kollegen sowie politischen Wegbegleitern Merkels bilden die Grundlage des Buches, das inzwischen fast als Standardwerk gilt. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" etwa bezeichnete Langguths Analyse als "erste Gesamtschau, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, und das zu Recht".
Merkels Jugend als Pfarrerstochter im brandenburgischen Templin, ihre Studienjahre in Leipzig, ihre Zeit an der Ostberliner Akademie der Wissenschaften, ihr politisches Engagement beim "Demokratischen Aufbruch" nach dem Zusammenbruch der DDR, schließlich ihr geradezu kometenhafter Aufstieg in der Bundespolitik unter ihrem damaligen Mentor Helmut Kohl - all dies zeichnete der Autor detailliert und faktenreich nach. Herausgekommen war das erhellende Porträt einer Frau, über die zum Zeitpunkt ihrer Kanzlerkandidatur kaum Persönliches bekannt war.
Zum Abschluss versuchte sich der Autor an einer Deutung von Merkels Persönlichkeit, die durchaus plausibel erschien. Etwas pathetisch attestierte er ihr einen "unbedingten Willen zur Macht" - und gute Aussichten, sich bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im September 2005 gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder durchzusetzen. Allerdings: Einen langen Verbleib an der Macht schien Langguth der CDU-Politikerin nicht zuzutrauen - und zwar aus zwei Gründen. Zum einen sei die promovierte Physikerin aus dem Osten mit ihrer "naturwissenschaftlich-mechanistischen Betrachtungsweise von Politik" in gewisser Hinsicht heimatlos in ihrer eigenen, von tradierten Werten und westdeutschen Verhaltensmustern geprägten Partei.
Zum anderen habe die in latenter Opposition zum DDR-Regime aufgewachsene Merkel früh verinnerlicht, ihre private Welt möglichst zu verbergen. Diese "Unfähigkeit, sich mitzuteilen, Einblick in das eigene Ich zu geben", hält Langguth für fatal. Denn nur wer als Spitzenpolitiker in der Lage sei, über persönliche Bindungen ein verlässliches Netzwerk von Vertrauten und Unterstützern aufzubauen, könne sich in Krisenzeiten auf Rückhalt im eigenen Lager verlassen.
Nun, pünktlich zur Halbzeit der Großen Koalition, ist eine vollständig überarbeitete und aktualisierte Fassung der Biografie erschienen. Komplett neu ist das neunte - und mit über 80 Seiten längste - Kapitel des Buches, das sich mit den ersten beiden Jahren Merkels als Regierungschefin beschäftigt. Leider kann es aber das Niveau und die kritische Distanz zur Person Merkel, die die Erstausgabe charakterisiert haben, nicht halten. Das liegt offensichtlich an der parteipolitischen Bindung des Autors, die den wissenschaftlichen Anspruch des Buches in diesem Kapitel untergräbt.
Denn hatte es sich vor allem bei der Analyse des schwierigen Verhältnisses zwischen Merkel und der Union als Vorteil erwiesen, dass Langguth diverse Ämter in der CDU innehatte und daher die "Seele" der Partei genau kennt, gilt für seine Halbzeitbilanz der Großen Koalition genau das Gegenteil. Allzu offensichtlich sind seine Sympathien für die Partei im Regierungsbündnis, der er selbst angehört. Zudem scheint er fast geblendet zu sein von den anfänglichen Erfolgen Merkels als Kanzlerin, der er nun - etwas überraschend - eine lange Regierungszeit voraussagt.
Vor allem in den Passagen zur Außenpolitik fällt seine einseitige Sicht auf. Beispiel Amerikapolitik: Hier wird die Kanzlerin etwas unreflektiert als Retterin des deutsch-amerikanischen Verhältnisses gefeiert, das durch ihren Vorgänger tief greifende Störungen erlitten habe. Dass Gerhard Schröder mit seiner ablehnenden Haltung zum Irak-Krieg Deutschland die Beteiligung an diesem Desaster ersparte, blendet Langguth hingegen aus.
Innenpolitisch charakterisiert er Merkel als kluge Machtstrategin, die aus dem Tauziehen um die Gesundheitsreform den Schluss gezogen habe, sich in Zukunft so spät wie möglich auf eine Haltung festzulegen. Das ist durchaus richtig beobachtet. Doch diese Strategie scheint sich im dritten Jahr ihrer Kanzlerschaft zunehmend als Irrweg zu erweisen. Dass die Deutschen auf längere Sicht gerne jemanden an der Spitze der Regierung haben, der klare Positionen vertritt und den sie einschätzen können, wird durch die zuletzt sinkenden Umfragewerte der Kanzlerin bestätigt.
Langguths Halbzeitbilanz der Großen Koalition zeigt, dass es für eine Bewertung von Merkels Kanzlerschaft noch zu früh ist. Oder, um im Bild zu bleiben: Wer zum jetzigen Zeitpunkt ein Porträt der Kanzlerin zeichnet, der läuft Gefahr, sie nur unzureichend wiederzugeben.
Angela Merkel. Aufstieg zur Macht. Biografie.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007; 492 S., 14,50 ¤