Kulturgeschichte
Anke Bernau über Entstehung und Entwicklung des Mythos Jungfrau
Jungfräulichkeit und Keuschheit kommen wieder in Mode - man denke nur an die Bekenntnisse mancher Schönheitskönigin. Genug Gründe, sich mit dem "Mythos Jungfrau" auseinanderzusetzen, gibt es aber ohnehin - glaubt man Anke Bernau, die zu diesem Thema ein Buch verfasst hat.
Bernau lehrt seit einigen Jahren Mittelalterliche Literatur an der Universität Manchester. Ihr jetzt veröffentlichter Band ist das Ergebnis einer sehr ausführlichen, vom Mittelalter ausgehenden Analyse von Klischees und Vorstellungen über den besonderen Charakter von Jungfrauen. In fünf Kapiteln geht die Autorin das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln an. So führt sie dem Leser vor Augen, wie vielfältig die Interpretationen allein des Begriffs "Jungfrau" sind. Es sei kaum möglich, mit jemandem zu sprechen, der keine Meinung zu diesem Thema habe - und selten stimmten zwei Ansichten überein. Medizinisch gesehen sei Jungfräulichkeit kaum nachweisbar. Ein intaktes Hymen belege weder Unberührtheit noch deren Gegenteil. Dennoch hielten sich die Legenden darüber hartnäckig und darauf spezialisierte Kliniken böten plastische "Re- konstruktionen" als Dienstleistung an. In den gleichen Bereich fielen Operationen zur "Verjüngung" der weiblichen Geschlechtsorgane, die ebenfalls Unberührtheit suggerieren sollten und gerade in den USA modern seien.
Die Bedeutung ihrer Studie sieht die Autorin schon darin begründet, dass gerade für die christlich geprägte Welt Jungfräulichkeit und Keuschheit lange entscheidende Bedeutung für die Rolle der Frau besessen hätten. Die Jungfrauen-Geburt Marias gleichsam als Gründungsmythos vor Augen, spielt Sittsamkeit gerade in den katholischen Klöstern eine herausragende Rolle. Schon deshalb herrschen in den Orden eine strenge Sozialkontrolle und drakonisch anmutende Strafen. Aktuell wachse die Anziehungskraft von "Reinheit" und sexueller Askese gerade in den USA wieder - Jungfräulichkeit werde als ein Teil der traditionellen Werte nicht nur von den regierenden Republikanern hochgehalten.
Anke Bernau schlüsselt auch literarische Interpretationen und Definitionen der Jungfräulichkeit sowie die politische Bedeutung des Begriffs auf: Die Jungfrau erscheine stets als Geheimnis, das es aufzulösen oder als Besitz, den es zu erobern gelte. Jungfräulichkeit erhöhe den Wert von Frauen in verschiedenen Kulturen: So seien die Strafen für Vergewaltigung in einigen Ländern bis heute vom "Status" des Opfers abhängig. Jungfräulichkeit und Keuschheit von Frauen galten darüber hinaus auf der politischen Rechten als Garanten für Erhalt und "Reinheit" der "Rasse" - das Private wurde dadurch in den politischen Bereich erhoben.
Abschließend kommt die Autorin auf den aktuellen Bedeutungszuwachs der Jungfräulichkeit zurück: Sie kritisiert den konservativen "Roll Back" in den USA. Statt Aufklärung setze man dort vielfach auf "Enthaltsamkeitskunde". Keuschheit werde Jugendlichen als einziger Schutz vor ungewollten Schwangerschaften und AIDS empfohlen. Armut werde so als selbstverschuldet begründet und auf moralische Defizite zurückgeführt und die Verantwortung für soziale Ungerechtigkeit bei den Schwächsten der Gesellschaft abgeladen. Auch in der Entwicklungshilfe verschaffe sich dieser Trend zunehmend Gewicht.
Am Ende des Bandes sind Leser und Leserinnen umfassend über die verschiedenen Facetten des Themas informiert. An einigen Stellen hätte man sich eine klarere Struktur gewünscht. Nur ungern würde man dafür allerdings auf die durchweg spannenden Erkenntnisse verzichten, die sich zumindest teilweise dem etwas assoziativen Darstellungsstil der Autorin verdanken. Eine Stärke des Bandes liegt außerdem in der Argumentation gegen christliche Fanatiker, die den Trend zur "Reinheit" vorantreiben. Zur Aufklärung über die kulturellen Hintergründe dieser Bewegungen trägt Bernau viel bei.
Mythos Jungfrau. Die Kulturgeschichte weiblicher Unschuld.
Parthas Verlag, Berlin 2007; 199 S., 19,90 ¤