ZUkunft EuropaS
Bundestag berät über Ratifizierung des Lissabon-Vertrags
Jacques Delors, langjähriger Präsident der EU-Kommission, hatte Europa einst mit einem Fahrrad verglichen: Hält man es an, fällt es um, hatte er bildlich erklärt. So betrachtet hatte es die Europäische Union im vergangenen Jahr gerade noch geschafft, das Rad, kurz vorm Aufschlagen auf den Boden, abzufangen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dachte in der Debatte zum Lissabon-Vertrag am 13. März daran zurück, dass der damalige Verfassungsvertrag nach zwei verlorenen Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 eigentlich schon als gescheitert gegolten hatte. "Ich erinnere auch daran, dass unsere Entschlossenheit, sich dieser resignierten Haltung entgegenzustellen, auf ungläubige, ja manchmal sogar entmutigende Reaktionen traf", sagte er.
Auch wenn sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Debatte nicht äußerte, dürfte sie erleichtert gewesen sein, dass der Vertrag von Lissabon an diesem Morgen im Plenum des Bundestages diskutiert wurde. Noch vor einem Jahr, während der deutschen EU-Präsidentschaft, hätte dafür wohl niemand seine Hand ins Feuer gelegt. Denn erst nach der Berliner Erklärung und einem langen Verhandlungsmarathon auf dem EU-Gipfel im Juni 2007 in Brüssel hatten sich, nach einigen Änderungen und Abstrichen am ursprünglichen Vertragstext, alle EU-Mitgliedstaaten im Grundsatz auf eine neue Version geeinigt. Unterzeichnet hatten die Staats- und Regierungschefs den Vertrag am 13. Dezember 2007 in Lissabon. In fünf Mitgliedstaaten ist er bereits ratifiziert worden, darunter auch in Frankreich, wo der Verfassungsvertrag im Mai 2005 abgelehnt worden war. Die Bundesregierung legte am 13. März einen Gesetzentwurf ( 16/8300) vor, mit dem die Regelungen des Vertrages nun auch auf deutscher Seite umgesetzt werden sollen. Um das Vertragswerk in Deutschland ratifizieren zu können, muss allerdings auch das Grundgesetz geändert werden: Zum einen muss der Bundestag der Übertragung von hoheitlichen Rechten zustimmen, zum anderen erhalten Bundesrat und Bundestag durch den EU-Reformvertrag mehr Mitwirkungsrechte, die separat geregelt werden müssen.
In Zukunft sollen laut Reformvertrag beide Kammern stärker in das europäische Gesetzgebungsverfahren einbezogen werden. So hat der Bundestag acht Wochen nach Erhalt einer EU-Vorlage das Recht zu prüfen, ob diese dem Prinzip der Subsidiarität entspricht. Dieses sieht vor, dass die EU nur dann tätig werden soll, wenn die Staaten nicht alleine handeln können oder ein gemeinsames Handeln der EU vorteilhafter ist. Erteilt das Parlament eine so genannte Subsidiaritätsrüge, muss der Entwurf von der Kommission erneut überprüft werden.
Das Gesetz über die Ausweitung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates ( 16/8489) schreibt außerdem vor, dass künftig eine Minderheit von 25 Prozent der Abgeordneten Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg erheben kann, wenn sich der Bundestag von der EU in seinen Zuständigkeiten verletzt sieht. Bisher konnte eine solche Subsidiaritätsklage nur die Bundesregierung einreichen.
Bisher galt ein Quorum von 25 Prozent nur für die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. Nach der Grundgesetzänderung gilt es jetzt auch, wenn Normenkontrollanträge vor dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden sollen. Die für den Vertrag von Lissabon notwendige Änderung der Grundgesetzartikel 23, 45 und 93 wurde in einem gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, CDU/CSU, FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen eingebracht ( 16/8488). Bis 23. Mai soll das Ratifizierungsverfahren abgeschlossen sein. Auch wenn sich mit Ausnahme der Fraktion Die Linke alle für eine Ratifizierug des EU-Reformvertrages aussprachen, goss Markus Löning (FDP) ein wenig Wasser in den Wein: Zwar begrüßte auch seine Fraktion die größeren Rechte des Bundestages, gleichzeitig warnte er aber vor zeitlichen Problemen bei der Subdidiaritätsprüfung. "Obwohl die Frist nun um ein Drittel länger ist als ursprünglich vorgesehen, wissen Sie genauso gut wie ich, wie lang parlamentarische Wege sind", sagte er. Gleichzeitig rief er dazu auf, "in Zukunft mit mehr parlamentarischem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gegenüber der Regierung aufzutreten".
Gunther Krichbaum (CDU/CSU), Vorsitzender des Europausschusses, sieht mit dem Vertrag ebenfalls mehr Verantwortung auf die Parlamentarier zukommen: "Wir können es uns mit dem Thema Europa nicht mehr so leicht wie in der Vergangenheit machen", sagte er. Im Ergebnis, so Krichbaum, werde die Abstimmung im Parlament "einen Quantensprung für die Entwicklung in Europa bedeuten".
Die Linke sieht in weiten Teilen des Vertrages hingegen eher einen Rückschritt. "Der Vertrag von Lissabon", so Alexander Ulrich, "festigt die undemokratische, neoliberale und militärische Entwicklung der Europäischen Union." Die Tatsache, dass 90 Prozent des EU-Verfassungsvertrages im Vertrag von Lissabon stehen, bezeichnete er als "undemokratischen Putsch der EU-Regierungen". Bereits zuvor hatte Lothar Bisky die Forderung der Linken nach einer Volksabstimmung in allen EU-Ländern wiederholt. Rainder Steenblock (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte, dass sich ursprünglich auch seine Fraktion ein Referendum gewünscht hatte, warnte aber vor Vereinfachungen und populistischen Forderungen: "Mich ärgert es manchmal schon, wie schnell einige Leute vom autoritären Zentralismus zur direkten Demokratie und Basisdemokratie übergewechselt sind", sagte Steenblock und warnte, die Werte der EU parteipolitisch zu instrumentalisieren.
Axel Schäfer (SPD) erinnerte daran, dass insgesamt acht Jahre über den Verfassungsvertrag diskutiert worden sei. Dabei habe es so viele Anhörungen und Veranstaltungen wie nie zuvor gegeben. Millionen von E-Mails seien dabei an den Verfassungskonvent gegangen. In Zukunft werde es auch im Bundestag "einen spannenden Wettbewerb bei der Diskussion über die europäische Dimension von Politik geben", sagte er. Und dabei wird sich, so Schäfer, die Frage stellen, "ob diese Debatte über Europa durch die Hoffnungsträger oder eher durch die Bedenkenträger bestimmt wird".