VERTRAG VON LISSABON
Bundestag beschließt mit großer Mehrheit Ratifizierung des Reformwerks
Jeder, der schon einmal gebaut hat, kennt das Problem: Es wird entworfen, gezimert, gehobelt und am Ende wird das Haus doch nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt fertig. Auch den Architekten des "Europäischen Hauses" ging es da nicht besser. Denn eigentlich hatten die "europäischen Handwerker" der damals noch 25 Mitgliedstaaten in ihren Ländern den "Vertrag über eine Verfassung für Europa" schon Anfang 2006 in Kraft setzen wollen. Doch nach den negativen Referenden in Frankreich und in den Niederlanden, stand der Bau ersteinmal still. Die europäischen Planer hatten sich nach diesem Schock eine Denkpause verordnet. Es war Angela Merkel, die sich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 beherzt den Bauhelm wieder aufsetzte, damit aus dem brachliegenden Verfassungsvertrag keine "Bauruine" werde.
Dabei war ihr eine Menge Skepsis und auch Europamüdigkeit entgegengeschlagen, aber in vielen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen einigte man sich schließlich auf einige Schönheitsreparaturen am europäischen Vertragswerk.
Nach einem erfolgreichen Zwischenschritt, dem Abschluss der Berliner Erklärung im März 2007, verständigten sich die europäischen Bauherren- und -damen auf dem EU-Gipfel im Juni 2007 vor allem auf eine äußerliche Änderung des Vertragswerkes: Der Name Verfassungsvertrag wurde gestrichen, Symbole wie eine gemeinsame Fahne und Hymne fielen ebenfalls weg und offiziell gibt es auch keinen EU-Außenminister mehr, sondern der heißt jetzt "Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik". Dabei war es der Kanzlerin sogar gelungen, in letzter Minute energisch vorgetragene Sonderwünsche von polnischer Seite bei der Sanierung des Vertragwerkes zu berücksichtigen.
Entscheidend blieb jedoch, dass die EU mit dem neuen "Vertrag von Lissabon" auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden konnte. Damit soll die Union der jetzt auf 27 Mitgliedstaaten angewachsenen Gemeinschaft funktionsfähiger nach innen und handlungsfähiger nach außen werden.
Sichtlich erleichtert zeigte sich daher auch Bundeskanzlerin und "EU-Bauherrin" Angela Merkel (CDU/CSU) in der Debatte am 24. April über die Ratifizierung des Vertragswerkes ( 16/8300): "Die Fundamente der Europäischen Union sind neu gelegt. Sie müssen sich nun festigen, und das gibt Ruhe und Kraft für die eigentlichen politischen Aufgaben", sagte die Bundeskanzlerin. Auch die anderen Fraktionen, mit Ausnahme der Linken, lobten die Leistungen von Angela Merkel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und zeigten sich erfreut, dass das europäische Bauvorhaben jetzt offenbar doch noch zu einem glücklichen Ende kommt.
Auf den langen Weg verwies auch SPD-Chef Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland Pfalz, der erstmals in dieser Legislaturperiode vor dem Bundestag sprach. Er hob die Bedeutung des Vertragswerks hervor, bemängelte aber, dass Europa noch immer ein entscheidender Teil fehle: "...das, was wir soziales Europa nennen". Man wolle keinen einheitlich organisierten Sozialraum, "aber einen Sozialraum, der von gleichen Ideen ausgeht". Gleichzeitig erinnerte er daran, dass die Sozialdemokraten schon 1925 in ihrem Heidelberger Programm die vereinigten Staaten von Europa gefordert hatten.
Auf die Geschichte verwies auch FDP-Parteichef Guido Westerwelle in der hochkarätig besetzten Debatte. Er warnte davor, "dass der eigentliche Grund, warum wir Europa machen, in den Hintergrund rückt" - Frieden. Westerwelle erinnerte daran, dass erstmals in der Geschichte "um Deutschland herum nur befreundete Staaten sind". Neben der politischen Dimension hob er aber auch die wirtschaftliche Bedeutung der Gemeinschaft hervor: "Wir sind der Gewinner der Europäischen Union, weil kein Land so abhängig ist vom Export und damit auch vom großen europäischen Binnenmarkt. wie wir Deutsche", sagte Westerwelle.
Die Fraktion die Linke sieht die Menschen hingegen eher als Verlierer des Vertrages. Sie stimmte als einzige Fraktion gegen das Reformwerk. "Solange die Menschen nicht das Gefühl haben, am Bau des europäischen Hauses beteiligt zu sein, so lange ist das herausgeschmissenes Geld", sagte Parteichef Lothar Bisky und wiederholte die Forderung nach einer Volksabstimmung über den Vertrag. Zudem kritisierte er ganz im Gegensatz zur FDP-Fraktion, dass von dem Reformvertrag "kein Friedenssignal" ausgehe, weil die Sicherheits- und Außenpolitik militärisch geprägt sei.
"Konservatives und neoliberales Schlechtreden von Europa befördert die Glaubwürdigkeit von solchen Polemiken wie Ihren", konterte Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen. Sein Fraktionskollege Rainder Steenblock, nannte den Vertrag, wie schon zuvor Angela Merkel, "einen großen Fortschritt", erinnerte aber auch daran, dass mit den erweiterten Rechten durch den Vertrag "sehr viel Arbeit" auf das Parlament, die Regierung und die Bürger zukomme. Die gab es für die Abgeordneten schon beim namentlichen Abstimmungsmarathon: Mit großer Mehrheit, 515 Stimmen, beschloss der Bundestag, das Gesetz zum Lissabon-Entwurf ( 16/8300) anzunehmen. Der dafür erforderlichen Änderung des Grundgesetzes ( 16/8488) wurde ebenfalls mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit (520 Ja-Stimmen) beschlossen. Der Antrag der Linken ( 16/7375) über eine Grundgesetzänderung für die Einführung von Volksentscheiden bei EU-Verträgen erhielt mit 53 Ja-Stimmen und 515 Nein-Stimmen nicht die erforderliche Mehrheit.