EUROPÄISCHER AUSWÄRTIGER DIENST
Anfang 2009 soll er seine Arbeit aufnehmen, aber viele Fragen sind noch ungeklärt
"Wen rufe ich an, wenn ich mit Europa sprechen will?" spottete der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger über die Uneinigkeit im außenpolitischen Handeln der Europäer. Der berühmte Spruch fiel vor mehr als 30 Jahren. Heute stehen die Staaten der Europäischen Union kurz davor Kissingers Frage zu beantworten: Sobald der EU-Reformvertrag gilt, wird ein "Hoher Repräsentant für Außen- und Sicherheitspolitik" die Arbeit aufnehmen. Stützen können soll sich dieser EU-Außenminister auf einen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). Die künftige Struktur und die Frage der Aufgabenverteilung dieses diplomatischen EU-Dienstes werden allerdings hinter den Kulissen noch diskutiert.
Europa hat sich zu einem globalen Akteur entwickelt. Anders als die Großmacht USA kann die EU in der Außen- und Sicherheitspolitik jedoch nicht einfach mit einer Stimme sprechen. Der Vertrag von Lissabon sieht ausdrücklich vor, dass die Souveränität der Mitgliedstaaten im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unberührt bleibt - hier gilt bei allen Entscheidungen weiterhin das Prinzip der Einstimmigkeit. In dem Bund aus 27 souveränen Staaten und komplizierten Institutionen überschneiden sich die Kompetenzen in der internationalen Politik. Das kostet Geld und blockiert einheitliches Handeln. Mit dem neuen Regelkatalog will sich Europa eine gemeinsame Stimme geben, um auf der internationalen Bühne effektiver arbeiten und machtvoller auftreten zu können.
Dafür wird die bisher strikte Trennung zwischen dem EU-Ministerrat, der die Mitgliedstaaten vertritt, und der dem gemeinsamen europäischen Interesse verpflichteten EU-Kommission aufgeweicht. Tritt der Reformvertrag wie geplant 2009 in Kraft, bekommt der Spanier Javier Solana, bisher als Generalsekretär des Ministerrates bereits Europas Chefdiplomat, zudem einen Posten als Vizepräsident der EU-Kommission. Dort wird er alle zur Außenpolitik gehörenden Ressorts wie Handels-, Entwicklungs-, Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik koordinieren.
Grundlegende Fragen für den geplanten diplomatischen Dienst der EU sind jedoch längst nicht geklärt. Der Reformvertrag schreibt lediglich vor, dass der EAD von vorübergehend nach Brüssel entsandten Diplomaten aus den EU-Staaten sowie aus Kommissions- und Ministerrats-Beamten gebildet werden soll. Weitere Details sind noch nicht bekannt, über Organisation und Arbeitsweise entscheiden die Mitgliedstaaten. Die Verhandlungen werden erst Anfang 2009 beginnen, heißt es in Brüssel.
Dass der diplomatische Dienst pünktlich zum Amtsantritt des neuen EU-Außenrepräsentanten voll einsatzfähig ist, gilt als unwahrscheinlich, es läuft auf eine Art Übergangslösung hinaus. Zu den heiklen Fragen des EAD zählt, wo und wie er in Brüssel "aufgehängt" werden soll. Bisher haben EU-Kommission und EU-Ministerrat keinen Kompromiss gefunden. Ein im März 2005 von Solana und Kommissions-Präsident José Manuel Barroso vorgelegtes Papier reichte die Streitfrage an die Mitgliedsstaaten weiter: Zu klären sei, ob der EAD eine autonome Stellung "sui generis" erhalte und keiner der beiden EU-Institutionen angehöre, oder ob der Dienst teilweise der einen oder der anderen Einrichtung angegliedert werden solle. Das Europaparlament, das laut Reformvertrag in der Frage angehört werden muss, hat sich dafür ausgesprochen, dass der EAD bei der Kommission "verankert" werden solle. Der EAD müsse "logistisch, administrativ und haushaltsmässig in vollem Umfang in die Dienste der Kommission eingegliedert werden", heißt es in einem von Außenpolitik-Experte Elmar Brok (CDU) entworfenen Bericht. Nur so sei eine politische Kontrolle möglich.
In der Sitzung des Europaauschusses des Bundestages am 23. April verwies Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) darauf, dass es sich beim EAD um die Schaffung einer eigenständigen außenpolitischen Expertise handele. Er werde "aber nicht das ersetzen, was wir unterhalten", sagte der Minister. Und fügte hinzu: Ein Europäischer Auswärtiger Dienst sei "keine Sparbüchse für die Mitgliedstaaten", so Steinmeier.