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Der frühere »Bischof der Armen« Fernando Lugo wird Präsident. Er steht vor schwierigen Aufgaben. Die Erwartungen an den politischen Neuling sind groß
Lugo, presidente; Lugo, presidente." Immer wieder rufen seine Anhänger den Namen des sensationellen Wahlgewinners und neuen Präsidenten in Paraguay. Zehntausende singen und tanzen nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse am Abend des 20. April rund um den Platz der Demokratie bis in den frühen Morgen. Immer wieder werden Feuerwerkskörper in den Himmel geschossen, Autos fahren hupend durch die Straßen. "Das ist ein historischer Moment", ruft der ehemalige Bischof Fernando Lugo. Seine Worte gehen im ohrenbetäubenden Jubel unter. "Ich werde für die Armen und die Schwachen arbeiten", verspricht der 56-Jährige kämpferisch. "Dieses Land soll für seine Ehrlichkeit und nicht mehr für seine Korruption bekannt sein." Nach 61 Jahren steht Paraguay vor einem historischen Machtwechsel. Mit seinem aus neun Parteien und zahlreichen sozialen Bewegungen geschmiedeten Mitte-Links-Bündnis hat Lugo sich aufgemacht, ein neues Kapitel in dem von Klientelismus und Korruption geprägten Land aufzuschlagen. Mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung (40,8 Prozent der Wählerstimmen) ist es Lugo und seiner Allianz für den Patriotischen Wechsel gelungen, die Herrschaft der seit 1947 regierenden Colorados zu durchbrechen. Die von Präsident Nicanor Duarte durchgesetzte Kandidatin Blanca Ovelar kam auf nur 30,7 Prozent der Stimmen.
Für ihre Siegesfeier haben sich die Wahlgewinner einen historischen Ort ausgesucht: Das Denkmal der Helden. Hier wurde am 3. Februar 1989 das Ende der 35 Jahre währenden Stroessner-Diktatur gefeiert. Und hier soll der Startschuss für ein neues Paraguay gegeben werden. "Lugo tiene corazón" (Lugo hat Herz), erschallt der populäre Wahlkampfschlager lautstark in die Nacht. "Das Volk hat die Angst besiegt", heißt es auf zahlreichen Bannern. Eine Pappmaché-Puppe mit dem Antlitz des entmachteten Präsidenten Duarte wird zerfetzt. Doch die Euphorie von Lugo und seinen Anhängern könnte bald von der bitteren Realität in einem der ärmsten Länder Lateinamerikas eingeholt werden.
Obwohl Paraguay über fruchtbare Böden verfügt und Energie exportiert, kamen die guten Wirtschaftsdaten der Mehrheit der Bevölkerung nicht zugute. Rund 35 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Das Pro-Kopf-Einkommen ist mit etwa 1.400 Euro eines der niedrigsten in ganz Lateinamerika. Vor allem auf dem Land ist die Not groß: Mehr als eine Million Paraguayer haben keinen Anschluss an Trinkwasser und Kanalisation. Auf der anderen Seite teilt rund ein Prozent der Bevölkerung 77 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche unter sich auf. Der Sojaboom hat vor allem den Brasilianern in Paraguay Gewinne beschert.
"Der einziger Herrscher, den es gibt, ist das Volk", ruft Lugo den tanzenden Massen zu und erinnert damit an die Unabhängigkeit des Landes 1811. Lugo, dessen Markenzeichen sein grauer Bart ist, spricht eindringlich mit sonorer Stimme. Er will die Nation wieder vereinen und hat der überall gegenwärtigen Vetternwirtschaft den Kampf angesagt. Auch äußerlich setzt Lugo auf den Unterschied zu den bislang Herrschenden. Meist trägt er ein traditionell besticktes Hemd über der Hose, an den Füßen Sandalen. Im Anzug oder gar mit Krawatte trat er bislang nie auf.
Doch Lugo wird als Staatschef viele Kompromisse eingehen müssen. Sein Mitte-Links-Bündnis ist bunt gemischt. Vertreter der bäuerlichen Bewegung, der Gewerkschaften, der Indianer, der Jugend und der städtischen Mittelschichten wollen ihre Interessen durchsetzen. Am einflussreichsten aber ist die seit mehr als 100 Jahren existierende Liberale Partei, deren Basis vor allem Unternehmer bilden. Ihr Vorsitzender Federico Franco wird Vizepräsident.
Am 15. August soll Lugo als Präsident vereidigt werden. Er wird dann einem Mehrparteienkabinett vorstehen und muss sich auch im 45-köpfigen Senat seine Mehrheiten zusammensuchen. Wenn Lugo, wie er versprochen hat, eine Landreform durchsetzen will, muss er sich mit den Mächtigsten im Land anlegen: der Agroindustrie. Der Export von Soja ist ein wichtiger Wirtschaftszweig und Devisenbringer. Durch den Sojaboom haben sich die Landkonflikte jedoch noch zugespitzt. Lugo setzt auf kleinbäuerliche Genossenschaften, die gemeinsam vom Soja-Anbau profitieren. Es geht ihm nicht nur um Landzuteilungen, sondern auch um die Vergabe von Krediten an Kleinbauern und um gezielte Beratung für eine ressourcenschonende Landwirtschaft. Noch immer werden jährlich durch Brandrodung Tausende Hektar in Paraguay vernichtet. Finanziert werden soll eine Landreform aus zusätzlichen Einnahmen durch den Verkauf von Energie. Doch hier ist schon der nächste Konflikt mit dem übermächtigen Nachbarn Brasilien programmiert. Nach einer Vereinbarung erhalten beide Länder 50 Prozent der produzierten Energie des gemeinsamen Wasserkraftwerkes Itaipú am Grenzfluss Paraná. Doch Paraguay entnimmt für seine schwach entwickelte Wirtschaft nicht einmal zehn Prozent und verkauft den Rest zum Vorzugspreis an Brasilien. Lugo will jetzt einen "gerechten Preis" nach Marktlage durchsetzen, der etwa acht Mal höher liegen würde. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva verweist aber auf gültige Verträge.
Vor allem für die Armen des Landes ist Lugo ein Hoffnungsträger. Zwölf Jahre hat er als katholischer Bischof in San Pedro, einer der ärmsten Regionen des Landes, gearbeitet. Als Mann der Kirche steht der Politik-Newcomer für Aufrichtigkeit und Volksverbundenheit. In Landkonflikten stellte er sich mutig auf die Seite der Kleinbauern und gewann ihren Respekt. Er erhielt zahlreiche Morddrohungen. Erst 2006 ging er in die Politik, mehr oder minder freiwillig. Zuvor hatten seine Anhänger mehr als 100.000 Unterschriften für ihn gesammelt. Ehe Lugo in Rom Theologie studierte, hatte er zehn Jahre als Steyler Missionar in Ecuador gearbeitet. Dort lernte er die linksgerichtete Theologie der Befreiung kennen, die, wie er selbst sagt, ihm "die Augen geöffnet hat".
Schon vor Öffnung der Wahllokale um sieben Uhr bilden sich überall im Lande lange Schlangen. So auch in einem Wahllokal am Rande von Asunción. Im betonierten Innenhof einer Schule sind 20 Tische mit Nummern platziert, hinter denen jeweils drei Mitglieder der Wahlkommission sitzen. An den Tischen befestigt sind drei durchsichtige Plastikbeutel - die Urnen. Dort hinein kommen die ausgefüllten Wahlzettel für den Präsidenten, die Senatoren und Abgeordneten. Im Gewühl der Menschen sind auch Wahlkabinen aus Pappe aufgestellt. Ob die Wähler sie benutzen, bleibt ihnen zumeist selbst überlassen. Vertreter der Nichtregierungsorganisation Transparencia Paraguay beobachten die Wahlen. Sie konnten insgesamt nur einige Unregelmäßigkeiten wie das "Markieren" von Stimmzetteln für die Colorados feststellen. Die Organisation hat jedoch weitere Fälle aus dem ganzen Land dokumentiert. So seien "Kommandos der Colorados" in einige Wahllokale eingedrungen und hätten dort eine "Situation der Einschüchterung" geschaffen, beklagt Transparencia. Vor der Tür gab es dann Geld für diejenigen, die nachweisen konnten, ihr Kreuz an der "richtigen Stelle" gemacht zu haben.
Trotz dieser Betrugsversuche ziehen internationale Wahlbeobachter wie der ehemalige kolumbianische Präsident Andrés Pastrana eine positive Bilanz. Die Wahl sei ein "großes Fest der Demokratie". Der Menschenrechtsaktivist und Träger des alternativen Nobelpreises, Martin Almada, ist sich aber sicher: "Nur die Anwesenheit der Wahlbeobachter und der internationalen Presse hat größeren Wahlbetrug verhindert." Alles sei vorbereitet gewesen. "Es gab einen Plan der Colorados, das wussten viele", sagt der 70-Jährige.