Parlamentsbeziehungen
Sejm und Bundestag setzen auf eine vertiefte Zusammenarbeit
Anfang April ist in Polen ein neues polnisch-deutsches Großwörterbuch erschienen. Der Deutschen Presse-Agentur war das eine Meldung wert. Die Chefin des Verlags hat die 1.100 Seiten starke Publikation zum "Botschafter des Dialogs" erklärt, und der polnische Deutschland-Beauftragte, Wladyslaw Bartoszewski, freute sich, dass nun auch schwierige Begriffe wie "Vertreibung" besser erklärt werden könnten. Nun stehe der deutsch-polnischen Verständigung nichts mehr im Wege, so der deutsche Botschafter in Warschau, Michael H. Gerdts.
Die Reaktionen sind bezeichnend. Denn die teilweise Funkstille in den offiziellen Beziehungen vergangener Jahre, ab und zu unterbrochen durch verbale Tourbulenzen etwa um das "sichtbare Zeichen" gegen Vertreibungen in Berlin oder die Osteseepipeline, hat das Verhältnis viel fragiler gemacht als es in den 90er-Jahren gewesen ist.
Nach dem Regierungswechsel in Polen haben Berlin und Warschau wieder eine gemeinsame Sprache gefunden. Inzwischen schmücken Schagzeilen wie "deutsch-polnische Charmeoffensive" oder "Tauwetter zwischen Warschau und Berlin" die Titelseiten. Und der deutsche Außenminister schreibt Namensartikel in polnischen Zeitungen. Man bemüht sich um eine bessere Atmosphäre, verhandelt dennoch hart in der Sache.
Auch zwischen den Parlamenten soll nun eine neue Etappe der Zusammenarbeit beginnen. Sejm-Marschall Bronislaw Komorowski führte am 21. April Arbeitsgespräche mit Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Es war der erste Besuch Komorowskis in Berlin nach seiner Wahl zum Sejm-Marschall - wie der Parlamentspräsident in Polen heißt - Anfang November. Und wie es scheint, stimmt die Chemie zwischen Komorowski und Lammert, der sich auch mit den früheren polnischen Parlamentspräsidenten Marek Jurek und Ludwik Dorn sehr gut verstand.
Das Treffen habe gezeigt, "dass das gute persönliche Verhältnis, das wir miteinander hatten, bevor wir in die jeweiligen Ämter gewählt wurden, in vollem Umfang erhalten geblieben ist", so Lammert.
"In einem Expresstempo haben wir viele Vereinbarungen getroffen", sagte Komorowski sichtlich erfreut. Daher sei er zutiefst überzeugt, dass "alles, was in den polnischen und deutschen Seelen bei diesem Treffen mitgeschwungen ist, schnell verwirklicht wird". Die Zeit sei reif, viele gute Projekte und Ideen umzusetzen. So soll die wegen der vorgezogenen Neuwahlen in Polen verschobene Konferenz beider Parlamentspräsidien im Herbst im niederschlesichen Kreisau stattfinden. Ursprünglich war geplant, dieses Treffen als ein Symposium zu deutsch-polnischen Geschichtsbildern mit Parlamentariern, Historikern und Publizisten beider Nationen zu gestalten. Kreisau - eine Stätte des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime - wurde nicht zufällig gewählt. Der Ort hat einen hohen Symbolwert - auch in Polen. Denn dort hatten 1989 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der erste nichtkommunistische Regierungschef nach 1945, Tadeusz Mazowiecki, mit ihrer Umarmung ein Zeichen der Versöhnung gesetzt.
Auf Vorschlag Komorowskis, wie Lammert in der gemeinsamen Pressekonferenz betonte, wird sich die Kreisauer Konferenz "mindestens so intensiv" mit der gemeinsamen Zukunft beschäftigen. Es solle dabei auch um die Perspektive einer gemeinsamen Außenpolitik gehen, so Komorowski im Gespräch. Als Schwerpunkte nannte er die Ostpolitik und die Energiesicherheit. "Ein Teil der Agenda werden bestimmt auch Fragen der Geschichte sein. Sie sollten aber gewisse Proportionen erhalten, damit wir nicht ständig rückwärtsgewandt miteinander reden."
Komorowski wirbt für einen "neuen Pragmatismus" in den Beziehungen. Man solle keine überdimensionierten Erwartungen etwa an das geplante deutsch-polnische Schulbuchprojekt knüpfen. "Einen Versuch ist es wert", sagt er nüchtern. Die strittigen Themen würden dennoch nicht plötzlich auf wunderbare Weise verschwinden: "Sie hat es immer gegeben und sie bleiben. Schluss, basta!" Man könne sich trotzdem mögen.
Lammert und Komorowski kündigten an, die Beziehungen zwischen Bundestag und Sejm zu vertiefen. Die Grundlage dafür biete der Lissaboner Vertrag. Künftig wollen beide Parlamente "wo immer möglich" im europäischen Entscheidungsprozess mit einer Stimme sprechen. In diesem Zusammenhang soll das Weimarer Dreieck - also die Kooperation zwischen Deutschland, Polen und Frankreich - auch auf Parlamentsebene "revitalisiert" werden.
Schließlich vereinbarten die Parlamentschefs, dass "der besondere Beitrag von Solidarnosc" für den Zusammenbruch des Kommunismus in Europa und insbesondere für die Wiedervereinigung Deutschlands "im unmittelbaren Kontext des Reichstages" und damit im räumlichen Zusammenhang mit dem damaligen Verlauf der Berliner Mauer "in einer angemessenen Weise", wie Lammert unterstrich, gewürdigt wird. Dies soll "in naher Zukunft" geschehen.
Komorowski begrüßte ausdrücklich diese "ausgezeichnete Idee" und kündigte seinerseits an, in ähnlicher Weise an das Treffen Kohl-Mazowiecki in Kreisau zu erinnern. Und auch daran, dass Helmut Kohl von dem Fall der Berliner Mauer während seines Besuches in Polen erfuhr.
Wie die Würdigung der Solidarnosc in Berlin konkret aussehen wird, wurde in Polen bereits im Vorfeld diskutiert. Dass es "nur" eine Art Gedenktafel sein soll, wurde in den Medien mit einer leisen Enttäuschung zur Kenntnis genommen. Die Tageszeitung "Rzeczpospolita" wies etwa darauf hin, dass der polnische Beitrag zur Wiedervereinigung Deutschlands "ungleich größer" gewesen sei als der Beitrag Ungarns, der bereits mit einer Gedentafel am Reichstag gewürdigt wird.
Lammert sagte nach dem Treffen, dass es nicht darum gehe, "die historische Rolle der Solidarnosc abschließend zu würdigen". Komorowski eilte ihm zur Hilfe: Die Geschichte Polens und Deutschlands war in der Zeit der Wende auf eine Art und Weise miteinander verwoben und voneinander abhängig gewesen, dass man von einer Schicksalsgemeinschaft sprechen könne. "Ich bin absolut überzeugt, dass unsere deutschen Partner alle diese Aspekte entsprechend würdigen können."