GIRLS'DAY
Schülerinnen lernen technische und politische Berufe in Fraktionen und Verwaltung des Bundestages kennen
Jagoda Derbach ist fasziniert. Begeistert bewegt die 14-jährige den kleinen Steuerknüppel nach rechts und links, nach oben und unten. Auf einem der 22 Monitore an der Wand vor ihr verändert sich das Bild. Auf einmal sind statt der vielen Menschen, die sich mit Kärtchen in der Hand um kleine Boxen drängen, die Zuschauer zu sehen. Jagodas Mitstreiterinnen finden das Spiel ebenfalls sehr lustig, drängen sich um das Mischpult. Produktionsingenieurin Petra Pietsch vom Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages erklärt zwischendurchdie Berufe der Mitarbeiter, die im Fernsehstudio und den angrenzenden Technikräumen des Bundestages arbeiten.
Es ist der 24. April, bundesweit findet der Girls Day statt, der Tag, an dem Schülerinnen Berufe kennen lernen sollen, die meist von Männern ausgeübt werden. Ungewöhnlich viele Mädchen kommen an diesem Morgen in den Reichstag. Jagoda hat sich für die Führung durch die Verwaltung angemeldet. Morgens früh wird sie durch die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) begrüßt. Die Frage, die sie ihr gestellt hat, hat die junge Berlinerin in ihr Notizbuch geschrieben, etwas zu Welthunger und Klimaschutz. "Sehr höflich" sei Göring-Eckardt gewesen, sagt Jagoda, "sie hat gut erklärt". Eigentlich hätten sie und die 15 anderen dann die Regiekabine im Plenarsaal besichtigen sollen. Aber im Plenum fand gerade die namentliche Abstimmung zum Vertrag von Lissabon statt - Hochspannung für die Regie, kein Zutritt erlaubt.
Die Abgeordneten stimmen immer noch ab, als Jagoda am Kamerapult steht. "Ich möchte Tontechnikerin werden, aber in einem Musikstudio", erklärt sie überzeugt. Auch wenn sie sich ihrer Berufswahl sicher ist, will sie sich weiter informieren. "Vielleicht komme ich hier auf die Idee, was ich noch lernen kann." Vor der Kamera am Moderationspult zu stehen und einen Text vom Telepromter abzulesen, wie die Mädchen es im Studio ausprobieren, findet die Schülerin mit den kurzen braunen Haaren, dem Sakko über der Bluse und den schwarz lackierten Fingernägeln auch ganz nett. "Aber ich sehe nichts, ich habe meine Kontaktlinsen nicht drin", sagt sie, kneift die Augen zusammen und grinst.
Isabell Hohmann hat zur gleichen Zeit ganz andere Sorgen. Zusammen mit einigen anderen Mädchen sitzt die 16-jährige im Schneidersitz auf dem Boden und diskutiert die Argumente für einen Gesetzentwurf. Damit sollen schon 17-jährige einen Führerschein machen sollen dürfen. Die Wuppertalerin sticht durch ihren leuchtend grünen Kapuzenpulli aus der Gruppe der Schülerinnen hervor, die in der Presselobby des SPD-Fraktionsraums über dem Gesetzentwurf brüten. Alle haben farbige Schilder an ihren Sweatshirts. Isabells ist rot und trägt die Aufschrift "SPD". Als sie das Schild aus dem Jutebeutel der Dozentin zieht, ballt sie kurz die Fäuste in Siegermanier und flüstert "Ja!". Die drei Mädchen mit "Linke"-Stickern sind mit ihrer Rolle weniger glücklich. "Die Linken sind doch immer gegen alles, die wollen wir nicht", protestieren sie. Doch es hilft nichts. In dem Rollenspiel, mit dem die Schülerinnen den Gang der Gesetzgebung näher kennen lernen, müssen alle Fraktionen des Bundestages vertreten sein. Also finden sich die jungen Frauen in ihre Parts ein und diskutieren.
Jede Fraktion hat Mädchen eingeladen, Abgeordnete zu begleiten, den Bundestag kennen zu lernen und zu erfahren, welche Berufe es neben dem des Abgeordneten in den Fraktionen noch gibt. Für die Union zum Beispiel stellt ein Informatiker seinen Arbeitsplatz vor, die Besucherinnen der Linksfraktion dürfen eigene Texte online stellen und die Sozialdemokraten nutzen die Gelegenheit, den Mädchen den Gang der Gesetzgebung zu verdeutlichen.
Isabell geht mit den anderen von einer Station zur nächsten und spielt den Lauf eines Entwurfs von der Idee bis zur Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten durch. Auf dem Boden liegen große Plakate mit Aufschriften wie "Arbeitsgruppe" und "Ausschuss". Die Gruppe muss entscheiden, in welcher Reihenfolge die Stationen abgearbeitet werden. Das ist nicht für jeden einfach, da viele noch nicht verstanden haben, was eine Fraktion oder auch der Bundesrat eigentlich sind.
"Ich finde es grundsätzlich sehr wichtig, junge Leute in das politische Geschäft einzuführen und dadurch Vorurteile abzubauen", sagt der SPD-Abgeordnete Manfred Zöllmer, den Isabell an diesem Tag begleitet. Er hat sich mit ihr am Morgen zum großen Frühstück im Fraktionssaal getroffen, wo die insgesamt 80 eingeladenen Mädchen mit ihren Abgeordneten in den Tag starten. Nach dem Frühstück geht sie zunächst auf Entdeckungstour durch den Reichstag. Vor dem Plenarsaal bleibt sie stehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hält gerade eine Rede, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und SPD-Vorsitzende Kurt Beck sitzt in die Reihen des Bundesrates. "Schon komisch, die mal alle so zu sehen", sagt sie. Für eine Stunde nimmt sie mit anderen Mädchen auf der Besuchertribüne Platz und verfolgt die Debatte. "So ein FDP-Typ hat einen sehr merkwürdigen Vergleich gezogen, das gab mächtig Unruhe bei SPD und Grünen", berichtet sie danach. Vor dem Planspiel trifft sie Zöllmer in seinem Büro. Dort hört sie etwas über den Ablauf von Sitzungswochen, die Termine, die ein Abgeordneter wahrnimmt und welche Aufgaben seine Mitarbeiter haben.
"Nein, Abgeordnete will ich eher nicht werden", sagt Isabell zum Schluss, "zu stressig". Auch Jagoda hat sich nach dem Tag nicht für einen neuen Beruf begeistert. "Ich will weiter Tontechnikerin werden - aber da bin ich mir nach der Veranstaltung heute noch sicherer."