Sind mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Überhangmandate nun verfassungswidrig?
Eine erste Durchsicht der Urteilsgründe zeigt für mich klar, dass keine Aussagen enthalten sind, dass Überhangmandate verfassungswidrig seien. Somit ergibt sich aus diesem Urteil kein zwingender Handlungsbedarf beim Thema Überhangmandate.
Handlungsbedarf besteht aber beim so genannten negativen Stimmgewicht, wodurch eine Partei mit weniger Zweitstimmen mehr Bundestagssitze bekommen kann als wenn sie mehr Stimmen bekommen hätte...
Für die Erscheinung des negativen Stimmgewichts sind Überhangmandate eine notwendige Voraussetzung. Das heißt, wenn man die Überhangmandate abschaffen würde, gäbe es keine negativen Stimmgewichte mehr. Man kann das Problem des negativen Stimmgewichts aber auch auf andere Weise lösen. Es ist nicht zwingend, die Überhangmandate abzuschaffen. Das heißt nicht, dass ich in irgendeiner Weise eine Präferenz für eine Lösung habe. Wir sollten uns das sehr gründlich und sorgfältig anschauen. Das haben auch die Richter so gesehen und eine lange Übergangsfrist eingeräumt.
Braucht Deutschland jetzt ein neues Wahlrecht?
Das muss man differenzieren. Wir haben in der Bundesrepublik ein Wahlrecht, das sich in den vergangenen 50 Jahren bewährt hat. In einer kleinen Spezialfrage müssen wir das Wahlrecht bis zum 30. Juni 2011 optimieren. Wir müssen die kuriose Randerscheinung des negativen Stimmgewichts beseitigen. Ich rate zu einem gründlichen und seriösen Gesetzgebungsverfahren. Gründlichkeit geht klar vor Schnelligkeit.
Wie konnte sich eine solche Paradoxie so lange im Wahlrecht halten?
Dieses Paradoxon tritt nicht bei jeder Wahl auf und es kann auch niemand vorhersagen; man kann nicht damit planen oder es instrumentalisieren. Bei der vergangenen Bundestagswahl gab es den einmaligen und erstmaligen Fall einer Nachwahl in Dresden. Weil dort das Ergebnis aus dem restlichen Bundesgebiet bekannt war, wurde das Paradoxon sehr augenscheinlich. In diesem Fall sind zwei Dinge, die sich sehr selten ereignen, zufälligerweise zusammengefallen.
Wie könnten mögliche Lösungen aussehen?
Ich warne nachdrücklich vor Schnellschüssen. Dazu würde gehören, sich vorschnell auf eine Lösung festzulegen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgericht ist offenkundig geworden, dass es einen Königsweg in dieser Frage nicht gibt. Alle Optionen, alle Alternativen haben eigene nachteilige Auswirkungen in unserem komplizierten Wahlsystem. Das ist kein kleines Projekt, sondern es kommt auf den Gesetzgeber eine Menge Arbeit zu.
Die Fragen stellte
Sebastian Hille