LENKA REINEROVÁ
Die Schriftstellerin starb mit 92 Jahren
Eine "außergewöhnliche Schriftstellerin" sei sie gewesen, vor allem aber "eine mutige und engagierte Frau ihrer Zeit". Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigte ausdrücklich die "bemerkenswerte Gabe der Versöhnung" von Lenka Reinerová, der letzten deutschschreibenden Autorin aus Prag. Am 28. Juni ist die Schriftstellerin im Alter von 92 Jahren gestorben.
Ende Januar noch wurden eine Rede Reinerovás und ein Auszug aus einem ihrer Bücher in der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag verlesen. Die Autorin selbst konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen, verfolgte die Gedenkfeier aber in der deutschen Botschaft in Prag. "Heute habe ich das Gefühl gehabt, dass ich vielleicht doch etwas hinterlasse", sagte sie im Anschluss zufrieden.
Die Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes wurde 1916 als Kind jüdischer Eltern geboren. Sie arbeitete unter anderem als Journalistin für die "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung", der zweitgrößten deutschen Illustrierten der Weimarer Republik, die zunächst in Berlin und ab 1933 im Prager Exil erstellt wurde. Als 1939 die Nationalsozialisten in ihre Heimat einmarschierten, befand sie sich in Bukarest. Ein mehrjähriges Asyl begann. Sie reiste nach Frankreich. In Paris wurde sie verhaftet und verbrachte sechs Monate in Einzelhaft. Über Casablanca konnte sie schließlich nach Mexiko fliehen. Ihre Familie allerdings, insgesamt elf Menschen, wurde von den Nazis ermordet. Mexiko nahm diplomatische Beziehungen zur tschecheslowakischen Exilregierung auf. Sie arbeitete an der diplomatischen Mission mit, "glücklich, dass ich wenigstens von Weitem ein bisschen zum großen Kampf gegen den Faschismus beitragen konnte", wie sie in ihrer Gedenkrede zum 25. Januar 2008 schrieb. Erst 1948 kehrte Reinerová mit ihrem Mann und ihrer Tochter nach Prag zurück, wurde wenige Jahre später im Zuge der stalinistischen "Säuberungen" festgenommen und verbrachte 15 Monate in Haft. 1964 wurde sie zwar rehabilitiert, doch vier Jahre später, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, verlor sie ihre Arbeit, wurde aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und musste sich als Dolmetscherin durchschlagen.
Erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks - Reinerová war 73 Jahre alt - durfte sie als Schriftstellerin arbeiten. Zuletzt erschien von ihr im vergangenen Jahr "Das Geheimnis der nächsten Minuten". Unter anderem wurde sie mit der Tschechischen Verdienstmedallaille ausgezeichnet. Gefragt, warum sie als zweisprachig aufgewachsene Autorin, die ihre ganze Familie im Holocaust verloren hat, ausgerechnet auf Deutsch schrieb, antwortete sie: "Die Sprache kann nichts dafür".
2004 initiierte sie in Prag die Gründung eines Literaturhauses, das die Erinnerung an den einstigen deutschsprachigen "Prager Kreis" wachhalten soll. Dazu gehörten Rainer Maria Rilke und Franz Kafka, aber auch viele unbekannte Autoren. "Ich bin überzeugt davon, dass wir noch mehr tun müssen, um einander möglichst gut zu verstehen", schrieb sie in ihrer Gedenkrede. Auch wenn der Holocaust vorüber sei, müsse jetzt "das neue Unheil, der Terrorismus" bekämpft werden.