NS-RAUBGUT
Auch 2008 sind noch nicht alle Kunstraub-Fälle aus der Zeit des Nationalsozialismus geklärt. Jetzt erhalten die Museen Hilfe vom Bund
Es sind auch Anrufe wie diese, für die Uwe Hartmann und seine drei Mitarbeiter in Zukunft da sein werden. Der Enkel eines deutschen Kunsthistorikers ist am Telefon, er hat im Haus seines verstorbenen Großvaters eine Mappe mit Grafiken von Bauhaus-Künstlern gefunden, die nicht im dessen Nachlass verzeichnet waren. Der Name des Historikers ist Hartmann bekannt, bisher deutet aber nichts darauf hin, dass dieser während des Nationalsozialismus Künstler oder Besitzer von Kunstwerken beraubte oder ihnen nicht den Marktwert für die Gegenstände zahlte. Jetzt ist zu klären, unter welchen Umständen er die Grafiken erhielt und ob andere ein Anrecht auf sie haben.
Bei solchen Fällen, vor allem aber bei ungeklärten Besitzverhältnissen von Gemälden und anderen Kulturgütern in Museen, sollen Hartmann und seine Mitarbeiter mit Geld und einer zentralen Datenbank die Recherche unterstützen. Die Arbeitsstelle für Provenienzrechte und -forschung, angesiedelt bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, wurde offiziell zu Beginn des Jahres eingerichtet.
Richtig beginnen können die Mitarbeiter aber erst in diesem Monat. Am 7. Juli konstituiert sich der Beirat. Dessen elf Mitglieder - Museumsdirektoren, Historiker und Vertreter von Bund und Ländern - sollen über die Förderanträge beraten und die Arbeitsstelle alle zwei Jahre evaluieren. Der Bund stellt eine Million Euro zur Verfügung, damit etwa Museen zusätzliche Fachkräfte einstellen können, die die Herkunft der Bestände klären sollen. Dass es zusätzlicher Anstrengungen bei der Forschung nach den ursprünglichen Besitzern bedarf, wurde spätestens nach der umstrittenen Restitution des Gemäldes "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner im Jahr 2006 deutlich. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) rief daraufhin Museumsexperten, Anwälte und Politiker zu einem "Raubkunst-Gipfel" zusammen. Ende 2007 gab er die Einrichtung der Arbeitsstelle bekannt. Grundlage für Restitutionen ist die Washingtoner Erklärung von 1998.
Die neue Arbeitstelle gleicht noch einer Baustelle. Tische und Stühle stehen schon in den Büros, die Computer sind gerade eingerichtet. Der Chef ist seit Anfang Juni da, die ersten Anfragen für Förderanträge kamen schon. "Wir rechnen in diesem Jahr schon mit 10 bis 15 Anträgen", so Hartmann.
Der Kunsthistoriker arbeitete bis vor kurzem bei der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg. Auch diese ist als Unterstützung für die Recherche von Museen und Opfern gedacht, erhielt als Hilfe dieses Jahr ebenfalls einen Beirat. Sie betreibt unter anderem eine Internet-Datenbank, in der gesuchte Gegenstände und solche, bei denen die derzeitigen Besitzer davon ausgehen, dass es sich um NS-Raubgut handelt, verzeichnet werden können. "Wir verstehen uns ausdrücklich nicht als Konkurrenz zu Magdeburg, sondern als Ergänzung", betont Hartmann. In der Berliner Datenbank, die Fachleuten zur Verfügung stehen werde, sollten Informationen über Gemälde, Händler, jüdische Sammler und weitere Details stehen, die Experten bei der Suche nach der Herkunft von Werken nützen könnten.
Dass auch mehr als 60 Jahre nach Kriegsende noch nicht abschließend geklärt ist, welche etwa in Museen ausgestellten oder in Bundesbesitz befindlichen Gegenstände jüdischen Mitbürgern während des Nationalsozialismus entwendet oder zu Niedrigpreisen abgekauft wurden, liege an der schwierigen Ausgangslage und Personalmangel, erklärt Hartmann. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten amerikanische Offiziere Sammelstellen mit Kunstschätzen eingerichtet, die sie keinem Besitzer zuordnen konnten. Später habe es die Treuhandverwaltung für Kulturgut der Bundesrepublik übernommen, die Gegenstände aufzubewahren und zu restituieren. Heute verwaltet das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen immer noch 1188 Gemälde und 395 Druckgrafiken, dazu Skulpturen, Möbel und andere Gegenstände, die aus dem Besitz der Regierung des Dritten Reiches stammen. In der bayerischen Staatsgemäldesammlung befänden sich außerdem Sammlungen bekannter Nationalsozialisten wie Hermann Göring und Joachim von Ribbentrop, so Hartmann.
Die Frage, mit denen sich vor allem Museen konfrontiert sehen, ist, unter welchen Umständen ein Bild in ihre Sammlung gelangt ist. Anhand von Markierungen an den Bildern, erhaltenen Schriftwechseln und Urkunden, Auktionsbüchern, Versteigerungsprotokollen und anderem versuchen sie zu klären, von wem das Bild in welchem Jahr gekauft wurde. Darüber hinaus muss festgestellt werden, ob der Verkäufer das Kunstwerk auch unter anderen Umständen zu diesem Preis abgegeben hätte.
"Das ist gar nicht so einfach", sagt Hartmann. Als Beispiel nennt er den Fall des jüdischen Kunstsammlers Friedrich Gutmann. Der Bankier emigrierte von Deutschland in die Niederlande und wurde später im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet. Die Erben erhielten vor einigen Jahren über 200 Gegenstände vom holländischen Staat zurück. Trotzdem, so Hartmann, sei nicht in allen Fällen eindeutig gewesen, ob sich Gutmann bei der Abgabe der Werke in einer Zwangslage befunden habe. "Man muss immer genau hinschauen, auch bei Fällen, die eindeutig scheinen", sagt Hartmann.