Freitag, 20.Juni 2008: Unruhe im Bundestag. Am Rednerpult kritisiert Ulla Jelpke das geplante BKA-Gesetz, das dem Bundeskriminalamt neue Befugnisse in der Terrorabwehr geben soll. Für die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke - schmal, mit rotbraunem, geflochtenen Zopf - ein Unding: "Was da geschaffen wird, ist eine geheim ermittelnde Staatspolizei. Das ist das Allerletzte, was wir brauchen können." Die letzten Worte muss die 57-Jährige fast rufen, um gegen die Entrüstung anzukommen, die im Plenum laut wird. Kritiker werden später behaupten, die Abgeordnete habe der Bundesregierung unterstellt, "nationalsozialistische" Strukturen aufzubauen. "Humbug", wehrt sich Jelpke. "Tatsächlich habe ich erklärt, warum das BKA-Gesetz ein Angriff auf das bisherige Demokratieverständnis ist, demzufolge polizeiliche Sicherheitsansprüche nicht unverhältnismäßig in die Grundrechte eingreifen dürfen. Wenn die Aufregung so groß ist, habe ich einen wunden Punkt getroffen." Das aber sei Aufgabe der Opposition, findet sie.
Und die kennt Ulla Jelpke - schließlich arbeitet die Politikerin schon fast ihr ganzes Leben in der Opposition: Ob früher als Demonstrantin oder heute im Parlament, stets ging es ihr um eine sozialere Gesellschaft, um "Grundrechte und Demokratie", wie Jelpke sagt. Dass sie dabei mit "zweierlei Maß messe", warf ihr 2006 das TV-Magazin "Kontraste" vor. Im Interview kommentierte Jelpke damals den Hinweis, in Kuba gäbe es keine Pressefreiheit und politische Gefangene, als "klein kariert". Als Auslöser für ihr Engagement sieht die gebürtige Hamburgerin ihre Heimerfahrung. Die Verhältnisse in dem Mädchenheim, in dem sie fünf Jahre lebte, seien "knastähnlich" gewesen, erinnert sich Ulla Jelpke. Hinnehmen konnte sie das nicht. Zur Heimsprecherin gewählt, verhandelte sie mit dem Jugendamt um Ausgang und Taschengeld. In dieser Zeit bekam sie von befreundeten Studenten erstmals marxistische Schriften in die Hand gedrückt: "Ich erinnere mich", erzählt Jelpke, "wie ich 'Lohnarbeit und Kapital' las - das hat mich unheimlich interessiert." Prompt begann die damals 18-Jährige, die gerade eine Friseurlehre machte, die Kunden im Salon auf ihre Arbeitssituation hinzuweisen: ",Mein Chef beutet mich aus', habe ich gesagt", berichtet sie schmunzelnd. Doch die "Verbal-Agitation" blieb erfolglos. Die Leute lachten höchstens - und der Chef tippte sich an die Stirn. "Der mochte mich, nahm mich aber nicht ernst." Ernst meinte es aber Ulla Jelpke. Sie begann sich in der Gewerkschaftsbewegung für faire Löhne und Ausbildungsstandards zu engagieren, wurde später Mitglied beim "Kommunistischen Bund". Über die "Bunte Liste", die in Hamburg zusammen mit den Grünen als "Grün-Alternative-Liste" (GAL) bei den Bürgerschaftswahlen antrat, zog Jelpke schließlich zwischen 1981 und 1989 zweimal ins Parlament ein.
Politik und soziales Engagement waren für sie längst zum Lebensinhalt geworden: Arbeitete sie nicht, schrieb sie für Gewerkschaftszeitungen - oder war als ehrenamtliche Strafvollzugshelferin aktiv. Die Wendezeit 1989/90 wurde dann auch für Ulla Jelpke - die inzwischen Soziologie und VWL studierte - zum Jahr der Umorientierung: Aus Protest gegen die Regierungspolitik der Grünen in Hessen verließ sie 1989 die GAL: "Mir gefiel nicht, dass sie immer neue Zugeständnisse in der Atompolitik machten", erklärt Jelpke. Man hätte in der Opposition bleiben sollen. Eine Haltung, die sie noch heute vertritt: "Ich bin nicht prinzipiell gegen eine Regierungsbeteiligung, aber der Preis muss stimmen." 1990 fragte die PDS Ulla Jelpke, ob sie bei der Bundestagswahl für ihre Liste kandidieren wolle. Sie sagte ja und zog zwischen 1990 und 2002 dreimal für die Partei in den Bundestag ein, ohne jedoch Mitglied zu sein. Erst 2005, nach der Fusion von PDS und der westdeutschen WASG, trat Jelpke der neu gegründeten Die Linke bei. "Ich hatte die Hoffnung, dass da eine Partei entsteht, mit der man etwas verändern kann", erklärt sie. Die Hoffnung scheint sich aus ihrer Sicht erfüllt zu haben: "SPD und Grüne treiben wir ganz erfolgreich vor uns her", sagt Jelpke. Es klingt zufrieden.